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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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aufzuhören. Sie bürstete es, bis ihr der Arm weh tat, nahm die Bürste in die andere Hand und machte weiter.
    Das Dienstmädchen fand sie am nächsten Morgen in einem vom schweren, süßen Duft verschütteten Parfüms erfüllten Zimmer vornübergebeugt über den Toilettenartikeln auf der Frisierkommode liegen und schlafen.
    VI
     
    Um genau zu sein – was Mr. Haedge in deprimierendem Maße war –, hatte Tom Bowman ein mehr als ausreichendes Bankguthaben hinterlassen; das heißt mehr als ausreichend, um den posthumen, die eigene Person betreffenden Forderungen nachzukommen. Außerdem gab es das in zwanzig Jahren angesammelte Mobiliar, einen launischen Roadster mit asthmatischen Zylindern und zwei Eintausend-Dollar-Wertpapiere einer Juwelierladenkette, die 7,5 Prozent Zinsen abwarfen. Leider waren diese auf dem Rentenmarkt unbekannt.
    Als sie Wagen und Möbel verkauft und den Stuckbungalow vermietet hatten, betrachtete Yanci trübsinnig die verbleibenden Mittel. Sie hatte rund eintausend Dollar auf dem Konto. Wenn sie sie anlegte, würde ihr Nettoeinkommen auf fünfzehn Dollar im Monat steigen. Damit würde sie, wie Mrs. Oral fröhlich bemerkte, das Pensionszimmer, das sie für Yanci gemietet hatte, bis an ihr Lebensende bezahlen können. Yanci war von dieser Nachricht derart ermutigt, dass sie in Tränen ausbrach.
    Also tat sie, was jedes schöne Mädchen in einer vergleichbaren Notlage getan hätte. Mit seltener Entschlossenheit erklärte sie Mr. Haedge, dass sie ihre eintausend Dollar auf dem Konto belassen wolle, marschierte dann aus seinem Büro, überquerte die Straße und ging in einen Schönheitssalon, um sich das Haar wellen zu lassen. Das hob ihre Stimmung in erstaunlichem Maß. Ja, sie zog sogar noch am selben Tag aus der Privatpension aus und mietete sich ein kleines Zimmer im besten Hotel der Stadt. Wenn sie schon in Armut versinken musste, würde sie es wenigstens in großem Stil tun.
    Die drei neuen Einhundertdollarscheine, das letzte Geschenk ihres Vaters, hatte sie in das Futteral ihres besten Trauerhuts eingenäht. Was sie sich von ihnen erwartete und warum sie sie auf diese Weise aufbewahrte, wusste sie nicht; vielleicht tat sie es, weil sie unter glücklichen Vorzeichen an die Scheine gelangt war und man dank der gewissen Fröhlichkeit, die ihrem knisternden, jungfräulichen Papier innewohnte, womöglich schönere Dinge damit kaufen konnte als einsame Mahlzeiten und enge Hotelbetten. Sie waren Hoffnung, Jugend, Glück und Schönheit; in gewisser Weise begannen sie, für all jene Dinge zu stehen, die sie in jener Novembernacht verloren hatte, als Tom Bowman sie rücksichtslos an den Rand der Welt geführt hatte und dann selbst abgestürzt war, so dass sie den Weg zurück allein finden musste.
    Yanci blieb drei Monate im Hiawatha Hotel und merkte, dass ihre Freunde nach den ersten Beileidsbesuchen Vergnüglicheres mit ihrer Zeit anzufangen wussten, als sie in Yancis Gesellschaft zu verbringen. Jerry O’Rourke kam eines Tages mit wildem Keltenblick zu ihr und verlangte, dass sie ihn auf der Stelle heiraten solle. Als sie ihn um Bedenkzeit bat, verließ er wutschnaubend den Raum. Später erfuhr sie, dass man ihm eine Stellung in Chicago angeboten hatte und er noch am selben Abend abgereist war.
    Ängstlich und unsicher dachte sie nach. Sie hatte schon von Menschen gehört, die aus ihrer Gesellschaftsschicht, aus dem Leben, herausgefallen waren. Ihr Vater hatte ihr von einem Mann aus seinem Jahrgang im College erzählt, der später in Gastwirtschaften arbeitete, wo er für den Preis eines Bieres Messinggeländer polierte; und sie wusste auch, dass es in dieser Stadt junge Mädchen gab, mit deren Müttern ihre Mutter als kleines Kind gespielt hatte, die inzwischen jedoch arm und gewöhnlich waren; die in Geschäften arbeiteten und ins Proletariat hineingeheiratet hatten. Aber dass ihr selbst ein solches Schicksal drohen sollte – wie absurd! Sie kannte doch jeden! Sie war schon überallhin eingeladen worden; schließlich war ihr Urgroßvater Gouverneur einer der Südstaaten gewesen!
    Sie hatte ihrer Tante nach Indien und dann noch einmal nach China geschrieben, jedoch keine Antwort erhalten. Daraus schloss sie, dass sich die Reiseroute ihrer Tante geändert hatte, was sich bestätigte, als eine Postkarte aus Honolulu eintraf, die auf keinerlei Kenntnis von Tom Bowmans Tod hindeutete, sondern ankündigte, sie werde zusammen mit einigen anderen Reisenden an die afrikanische Ostküste fahren. Damit

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