Winterträume
Er wusste, welche Sorte Männer das waren – die Männer, die bei seinem Eintritt ins College mit eleganter Kleidung und tiefer, gesunder Sommerbräune von den großen Privatschulen kamen. In einer Hinsicht war er ihnen offensichtlich überlegen. Er war frischer und stärker als sie. Indem er sich jedoch zu dem Wunsch bekannte, seine Kinder möchten werden wie sie, gab er zu, dass er nur der gleiche grobe, starke Stoff war, aus dem sie zu allen Zeiten entstanden.
Als er selbst es sich schließlich leisten konnte, gute Kleider zu tragen, hatte er gewusst, wer die besten Schneider in Amerika waren, und die besten Schneider in Amerika hatten ihm auch den Anzug gemacht, den er an diesem Abend trug. Er hatte sich jene besondere Zurückhaltung angeeignet, die für seine Universität charakteristisch war und sie von anderen Universitäten abhob. Er begriff, von welchem Wert ein solcher Manierismus für ihn war, deshalb hatte er ihn angenommen; Sorglosigkeit in puncto Kleidung und Manieren, das wusste er, setzte größeres Selbstvertrauen voraus als Sorgfalt. Doch Sorglosigkeit sollte seinen Kindern vorbehalten bleiben. Seine Mutter hatte Krimslich geheißen. Sie stammte aus einer böhmischen Bauernfamilie und hatte bis zum Ende ihrer Tage nur gebrochen Englisch gesprochen. Ihr Sohn musste sich darum an die althergebrachten Formen halten.
Kurz nach sieben kam Judy Jones herunter. Sie trug ein Nachmittagskleid aus blauer Seide, und zuerst war er ein wenig enttäuscht, weil sie nichts Aufwendigeres gewählt hatte. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als sie nach knapper Begrüßung zur Tür des Anrichteraums ging, sie aufstieß und rief: »Sie können das Essen servieren, Martha.« Er hatte eigentlich erwartet, dass ein Butler zum Essen bitten, dass es einen Cocktail geben würde. All diese Gedanken ließ er jedoch hinter sich, als sie sich Seite an Seite auf ein Sofa setzten und einander anschauten.
»Vater und Mutter sind nicht da«, sagte sie versonnen.
Er erinnerte sich an das letzte Mal, als er ihren Vater gesehen hatte, und war froh, dass die Eltern an diesem Abend nicht anwesend sein würden – sie hätten sich womöglich gefragt, wer er sei. Er war in Keeble geboren, einer Kleinstadt in Minnesota fünfzig Meilen nördlich von hier, und wenn er gefragt wurde, woher er komme, nannte er stets Keeble und nicht Black Bear Village. Kleinstädte auf dem Land taugten ganz gut als Herkunftsort, solange sie einen nicht mit ihrem Anblick behelligten und als Fußschemel für schicke Badeseen herhielten.
Sie sprachen über seine Universität, die sie in den letzten zwei Jahren häufig besucht hatte, und über die nahe gelegene Stadt, die Sherry Island mit seinen Stammgästen versorgte, und darüber, ob Dexter am nächsten Tag zu seinen florierenden Wäschereien zurückkehren würde.
Während des Essens glitt sie in eine düstere Stimmung ab, und Dexter wurde unbehaglich zumute. Jede Nörgelei, die sie in ihrer kehligen Stimme vorbrachte, beunruhigte ihn. Was sie auch anlächelte – ihn, ein Stück Hühnerleber, nichts –, es irritierte ihn, dass ihr Lächeln nicht der Fröhlichkeit, ja nicht einmal der Belustigung entsprang. Wenn ihre scharlachroten Mundwinkel nach unten wanderten, war es weniger ein Lächeln als eine Einladung zum Kuss.
Dann, nach dem Essen, führte sie ihn auf die dunkle Glasveranda und änderte bewusst die Atmosphäre. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich ein bisschen weine?«, fragte sie.
»Ich scheine Sie zu langweilen«, antwortete er rasch.
»O nein, ich mag Sie. Aber ich habe einen scheußlichen Nachmittag hinter mir. Es gab da einen Mann, der mir etwas bedeutet hat, und heute Nachmittag hat er mir aus heiterem Himmel eröffnet, er sei arm wie eine Kirchenmaus. Er hatte nie auch nur die leiseste Andeutung gemacht. Klingt das schrecklich prosaisch?«
»Vielleicht hatte er Angst, es Ihnen zu sagen.«
»Mag sein«, antwortete sie. »Er hat es falsch angefangen. Wissen Sie, wenn ich ihn für arm gehalten hätte – also, ich war schon nach Unmengen armer Männer verrückt und wild entschlossen, sie alle zu heiraten. Doch ihn hatte ich nicht so angesehen, und mein Interesse reichte nicht aus, um den Schock zu verwinden. Als würde ein Mädchen ihrem Verlobten seelenruhig mitteilen, sie sei Witwe. Vielleicht hat er nichts gegen Witwen, aber – fangen wir es richtig an«, unterbrach sie sich auf einmal selbst. »Wer sind Sie eigentlich?«
Einen Moment lang zögerte Dexter. »Ich bin niemand«,
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