Winterträume
antwortete er dann. »Meine Karriere ist im wesentlichen Zukunftsmusik.«
»Sind Sie arm?«
»Nein«, antwortete er freimütig. »Ich verdiene wahrscheinlich mehr Geld als sonst irgendein Mann meines Alters im gesamten Nordwesten. Das ist eine geschmacklose Bemerkung, ich weiß, aber Sie haben mir ja geraten, es richtig anzufangen.«
Eine Pause trat ein. Dann lächelte sie, ihre Mundwinkel fielen herab, und mit einem fast unmerklichen Schwanken war sie näher bei ihm und schaute zu ihm auf. Ein Kloß wuchs in Dexters Hals, und er wartete atemlos auf das Experiment, auf jene unvorhersehbare Verbindung, welche die Elemente ihrer Lippen gleich auf geheimnisvolle Weise eingehen würden. Dann geschah es – sie teilte ihm ihre Erregung mit, verschwenderisch, leidenschaftlich, mit Küssen, die nicht bloß Verheißung, sondern Erfüllung waren. Sie weckten in ihm keinen Hunger, der erneuert werden wollte, vielmehr eine Übersättigung, die nach immer mehr Übersättigung heischte… Küsse wie Almosen, die Verlangen erzeugten, indem sie nicht das Geringste zurückhielten.
Er brauchte nicht lange, um zu der Auffassung zu gelangen, dass er Judy Jones schon begehrt hatte, als er noch ein stolzer, lebenshungriger kleiner Junge gewesen war.
IV
So fing es an – und in derselben Tonart ging es, mit wechselnden Schattierungen der Intensität, bis zur Auflösung weiter. Dexter lieferte einen Teil seiner selbst dem direktesten und prinzipienlosesten Wesen aus, mit dem er jemals in Berührung gekommen war. Was immer Judy wollte, sie verfolgte es mit dem gesamten Nachdruck ihres Charmes. Es gab keine Variation der Methoden, kein Positionsgerangel und kein Kalkül – überhaupt lag in all ihrem Tun nur wenig Vernunft. Sie machte den Männern bloß in höchstem Maße ihren körperlichen Liebreiz bewusst. Dexter hätte nichts an ihr ändern wollen. Die leidenschaftliche Energie, die in ihre Mängel hineingewebt war, transzendierte und rechtfertigte sie. Als Judys Kopf an jenem ersten Abend an seiner Schulter ruhte, flüsterte sie: »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Gestern Abend dachte ich noch, ich sei in einen anderen Mann verliebt, und heute denke ich, ich bin in dich verliebt…«, und das schien ihm eine wunderschöne, romantische Bemerkung zu sein. Es war ihre köstliche Erregbarkeit, über die er für den Moment gebot, ja die sein war. Eine Woche später jedoch war er gezwungen, dieselbe Qualität in einem anderen Licht zu sehen. Judy nahm ihn in ihrem Roadster mit zu einem Abendpicknick, und nach dem Essen verschwand sie, ebenfalls in dem Roadster, mit einem anderen Mann. Dexter war außer sich und kaum in der Lage, den anderen Anwesenden gegenüber einigermaßen höflich zu bleiben. Als sie ihm versicherte, sie habe den anderen Mann nicht geküsst, wusste er, dass sie log – und war doch froh, dass sie sich wenigstens die Mühe gemacht hatte, ihn zu belügen.
Er gehörte, wie er noch vor dem Ende des Sommers herausfand, zu einer wechselnden Schar von Männern, die sie umkreisten. Jeden hatte sie einmal allen anderen vorgezogen; ungefähr die Hälfte schwelgte noch im Trost gelegentlicher sentimentaler Wiederbelebungen. Sooft einer aufgrund längerer Vernachlässigung Anstalten machte auszusteigen, gewährte sie ihm eine kurze, honigsüße Stunde – die ihn ermutigte, vielleicht noch ein weiteres Jahr am Ball zu bleiben. Judy unternahm diese Überfälle auf die Hilflosen und Besiegten ohne Arglist, ja sie war sich kaum bewusst, dass in ihrem Verhalten etwas Niederträchtiges lag.
Sobald ein neuer Mann in die Stadt kam, stiegen alle aus – jedes Rendezvous galt automatisch als abgesagt.
Wer etwas dagegen zu tun versuchte, musste sich machtlos vorkommen, weil alles immer nur von ihr ausging. Sie war kein Mädchen, das im eigentlichen Sinne ›erobert‹ werden konnte – sie war immun gegen Cleverness, immun gegen Charme; wenn eins von beidem sie zu stark bestürmte, löste sie die Affäre sofort ins Körperliche auf, und unter dem Zauber ihrer körperlichen Schönheit spielten die Starken wie die Klugen nicht mehr das eigene, sondern Judys Spiel. Einzig die Erfüllung ihrer Wünsche und die direkte Ausübung ihres eigenen Charmes vermochten sie bei Laune zu halten. Vielleicht hatte sie durch so viel jugendliche Liebe, so viele jugendliche Liebhaber gelernt, sich – aus Notwehr – ganz und gar von innen zu nähren.
Auf Dexters anfängliches Hochgefühl folgten Unruhe und Unzufriedenheit. Die hilflose
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