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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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verkleinern würde, die seine Gegenwart von seiner Vergangenheit trennte.
    Es war ein merkwürdiger Tag, von flüchtigen, vertrauten Eindrücken jäh zerschnitten. Eben noch fühlte er sich wie ein Eindringling – dann wieder überwog das Gefühl der ungeheuren Überlegenheit, die er Mr. T. A. Hedrick gegenüber empfand, einem Langweiler, der nicht einmal mehr gut Golf spielte.
    Irgendwann geschah wegen eines Balles, den Mr. Hart in der Nähe des fünfzehnten Greens verlor, etwas Unglaubliches. Während sie das harte Gras des Roughs absuchten, ertönte jenseits eines Hügels hinter ihnen der deutliche Ruf »Vorsicht!«. Und als sie sich, die Ballsuche unterbrechend, allesamt ruckartig umdrehten, kam ein leuchtender neuer Ball leicht angeschnitten über den Hügel geflogen und traf Mr. T. A. Hedrick in den Unterleib.
    »Herrje!«, rief der. »Ein paar von diesen verrückten Frauen gehören vom Platz geworfen. Das wird ja wirklich immer schlimmer!«
    Ein Kopf und eine Stimme tauchten zusammen hinter dem Hügel auf. »Würden Sie uns wohl vorlassen?«
    »Sie haben mich in den Bauch getroffen!«, vermeldete Mr. Hedrick wütend.
    »Habe ich das?« Die junge Dame näherte sich der Gruppe von Männern. »Das tut mir leid. Ich habe doch laut ›Vorsicht!‹ gerufen.«
    Ihr Blick fiel beiläufig auf jeden von ihnen – dann suchte sie den Fairway nach ihrem Ball ab.
    »Bin ich im Rough gelandet?«
    Es war unmöglich festzustellen, ob das eine arglose oder eine boshafte Frage war. Einen Moment später jedoch räumte die junge Dame alle Zweifel aus, indem sie ihrer Partnerin, die gerade über den Hügel kam, fröhlich zurief: »Hier bin ich! Ich wäre auf dem Green gelandet, wenn ich nicht etwas anderes getroffen hätte.«
    Während sie in Position ging, um einen kurzen Schlag mit Eisen fünf zu machen, betrachtete Dexter sie genauer. Sie trug ein Kleid aus blauem Gingan mit einem weißen Saum an Hals und Schultern, der ihre Bräune hervorhob. Was an ihr vordem so übertrieben und dünn gewirkt und ihren leidenschaftlichen Augen und herabgezogenen Mundwinkeln mit elf etwas Albernes verliehen hatte, war fort. Sie war atemberaubend schön. Die Farbe ihrer Wangen irisierte wie die Farbe auf einem Bild – es war keine ›tiefe‹ Röte, sondern eine Art changierender, fiebriger Wärme, so abgedämpft, dass es schien, als würde sie jeden Augenblick weichen und ganz verschwinden. Diese Röte und ihr Mund, der ständig in Bewegung war, vermittelten den Eindruck von Wechselhaftigkeit, von höchster Lebendigkeit und leidenschaftlicher Vitalität – ein Eindruck, dem die traurige Pracht ihrer Augen nur teilweise entgegenwirkte.
    Jetzt schwang sie ungeduldig und desinteressiert ihr Eisen fünf und beförderte den Ball in einen Bunker jenseits des Greens. Mit einem raschen, unaufrichtigen Lächeln und einem unbekümmerten »Danke schön!« folgte sie ihm.
    »Diese Judy Jones!«, bemerkte Mr. Hedrick beim nächsten Tee, während sie – ein paar Augenblicke – warteten, bis sie weitergespielt hatte. »Sie müsste sechs Monate lang übers Knie gelegt und dann mit einem altmodischen Hauptmann der Kavallerie verheiratet werden.«
    »Mein Gott, sieht sie gut aus!«, sagte Mr. Sandwood, der knapp über dreißig war.
    »Gut?«, rief Mr. Hedrick verächtlich. »Sie sieht immer aus, als wollte sie geküsst werden! So wie sie ihre großen Kuhaugen auf jedes Kalb in der Stadt richtet!«
    Es war zweifelhaft, ob Mr. Hedrick damit auf mütterliche Instinkte anzuspielen beabsichtigte.
    »Sie könnte ziemlich gut Golf spielen, wenn sie sich Mühe geben würde«, meinte Mr. Sandwood.
    »Sie hat keinen Stil«, sagte Mr. Hedrick feierlich.
    »Sie hat eine gute Figur«, sagte Mr. Sandwood.
    »Danken wir Gott, dass sie keinen härteren Schlag hat«, sagte Mr. Hart und zwinkerte Dexter zu.
    Später ging in einem turbulenten Wirbel aus Gold und wechselnden Blau- und Scharlachrottönen die Sonne unter, und zurück blieb der trockene, knisternde Abend eines Sommers im Mittleren Westen. Dexter schaute von der Veranda des Golfclubs aus zu, schaute zu, wie die Wellen im sachten Wind gleichmäßig eine über die andere schwappten, silberne Melasse unter dem Erntemond. Dann legte der Mond einen Finger auf den Mund, und der See wurde zu einem klaren Teich, bleich und still. Dexter zog sich einen Badeanzug an, schwamm weit hinaus bis zum letzten Floß und streckte sich auf der nassen Segeltuchbespannung des Sprungbretts aus.
    Ein Fisch sprang hoch,

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