Winterträume
Augenblick bei Hugo. Sie erinnern sich – das ist mein Leibdiener.«
»Bei Hugo!« Sie riss die Augen auf. »Warum? Was hat das alles zu bedeuten?«
»Nun, ich habe – ich habe eine Art Schule, so würden Sie’s wohl nennen.«
»Eine Schule?«
»Es ist eine Art Akademie. Und ich bin der Direktor davon. Ich habe sie erfunden.«
Er zog eine Karte aus seiner Brieftasche, mit so viel Schwung, dass es aussah, als schüttele er ein Thermometer. »Hier.«
Sie nahm die Karte. In großen Buchstaben stand dort:
JAMES POWELL; J. M.
WÜRFEL, SCHLAGRINGE UND GITARRE
Verblüfft starrte sie darauf.
»Würfel, Schlagringe und Gitarre?«, wiederholte sie ehrfürchtig.
»Ja, Ma’m.«
»Was bedeutet das? Was – verkaufen Sie diese Dinge?«
»Nein, Ma’m, ich lehre sie. Es ist ein Beruf.«
»Würfel, Schlagringe und Gitarre? Und was heißt J. M.?«
»Das steht für Jazz-Meister.«
»Aber was ist das? Worum geht es dabei?«
»Also, das ist so. Eines Abends, in New York, kam ich mit einem jungen Mann ins Gespräch, der ordentlich was intus hatte. Er war einer von meinen Fahrgästen. Und er hatte ein junges Mädchen aus den besseren Kreisen irgendwohin ausgeführt und sie dann verloren.«
»Sie verloren ?«
»Ja, Ma’m. Er hatte sie wohl vergessen. Und nun machte er sich ziemliche Sorgen. Na, und da hab ich mir gedacht, diese jungen Mädchen von heute – diese Mädchen, die in der Gesellschaft verkehren –, die führen doch irgendwie ein gefährliches Leben, und mein Studiengang gibt ihnen ein Mittel an die Hand, sich für diese Gefahren zu wappnen.«
»Sie bringen ihnen bei, Schlagringe zu benutzen?«
»Ja, Ma’m, wenn’s nötig ist. Schauen Sie, da führt einer ein Mädchen aus und geht mit ihm in irgendein Café, wo es nichts zu suchen hat. Tja, und dann trinkt er einen über den Durst und schläft ein, und ein anderer Kerl kommt zu ihr und sagt: ›Hallo, süße kleine Mama‹, oder was immer die Weiberhelden hier oben so sagen. Was macht sie dann? Schreien kann sie nicht, weil heutzutage keine richtige Dame mehr schreit – nein. Sie greift einfach in ihre Tasche und schiebt ihre Finger in ein Paar Powell’s Selbstverteidigungsschlagringe, Debütantinnengröße, führt aus, was ich den Gesellschaftshaken genannt habe, und – peng! – schon ist der famose Kerl auf dem Weg in den Keller.«
»Und – wofür – wofür ist die Gitarre?«, flüsterte Amanthis ehrfürchtig. »Müssen sie die auch jemandem über den Kopf ziehen?«
»Nein, Ma’m !«, rief Jim voller Entsetzen. »Nein, Ma’m. In meinem Kurs lernt keine Dame, die Gitarre gegen jemanden zu erheben. Ich bringe ihnen bei, wie man drauf spielt. Ach, was rede ich – Sie müssen sie mal spielen hören! Nach zwei Unterrichtsstunden bei mir würden Sie meinen, ein paar von denen wären Farbige!«
»Und die Würfel?«
»Würfel? Ich bin mit einem Würfel verwandt. Mein Großvater war einer. Ich bringe den Leuten bei, wie man die Würfel tanzen lässt. Ich schütze Portemonnaie wie Person.«
»Sind Sie – haben Sie denn Schüler?«
»Ma’m, alle richtig netten, reichen Leute der Stadt kommen zu mir. Was ich Ihnen erzählt habe, ist noch nicht alles. Ich unterrichte die verschiedensten Sachen. Ich bringe ihnen den Boodlin’ Bend bei – und den Mississippi Sunrise. Ein Mädchen ist mal zu mir gekommen und hat gesagt, dass sie lernen will, mit den Fingern zu schnippen. Ich meine, richtig zu schnippen – wie man das eben macht. Sie hätte das schon als kleines Mädchen nicht gekonnt. Ich habe ihr zwei Stunden gegeben, und – peng! – Ihr Daddy sagt, er zieht bald aus.«
»Wann findet das alles statt?«, fragte Amanthis ganz matt und erschüttert.
»Dreimal die Woche. Und Sie kommen einfach als Schülerin dazu. Ich habe erzählt, dass Sie aus einer sehr vornehmen Familie in New Jersey stammen. Ich habe nicht gesagt, dass Ihr Daddy Richter ist – sondern dass er der Mann ist, der das Originalpatent für Würfelzucker besitzt.«
Sie hielt die Luft an.
»Jetzt brauchen Sie nur noch so zu tun«, fuhr er fort, »als hätten Sie noch nie einen Barbier gesehen.«
Sie waren inzwischen ganz im Süden des Ortes angelangt, und Amanthis sah eine Reihe von Wagen vor einem zweistöckigen Gebäude parken. Die Wagen waren allesamt flach, lang, schnittig und in leuchtenden Farben lackiert. Dann stieg sie bereits eine enge Treppe zum ersten Stock hinauf. Auf einer Tür, durch die Musik und Gelächter drang, stand:
JAMES POWELL; J. M.
WÜRFEL,
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