Winterträume
ihm selbst die Türen Southamptons verschlossen. Mit welcher Höflichkeit, oder besser: Faszination seine Schüler ihm von drei bis fünf auch begegneten – danach lebten sie in einer anderen Welt.
Seine Position glich derjenigen eines Golftrainers, der seine Schüler auf dem Rasen zwar duzen oder ihnen gar Befehle erteilen darf, diese Privilegien jedoch bei Sonnenuntergang einbüßt. Er darf durchs Clubfenster schauen, aber nicht tanzen. Ebenso wenig war es Jim vergönnt zu sehen, wie seine Lehren in die Tat umgesetzt wurden. Er konnte den Klatsch und Tratsch am Morgen danach hören – das war alles.
Doch während der Golftrainer, da er Engländer ist, seinen Platz unterhalb der Herrschaften mit Stolz ausfüllt, lag Jim Powell – »aus einer mächtig feinen Familie – arm, aber fein« – viele Nächte lang wach in seinem Hotelbett, hörte die Musik aus dem Haus der Katzbys oder dem Beach Club durch sein Fenster hereinwehen, wälzte sich unruhig hin und her und sann über das nach, was geschehen war. In den ersten Tagen seines Erfolgs hatte er sich einen feinen Anzug gekauft, weil er dachte, er würde bald Gelegenheit haben, ihn zu tragen – doch das gute Stück lag noch immer unangetastet in der Schachtel, in der der Schneider es geliefert hatte. Vielleicht, dachte er, gab es ja tatsächlich ein Gefälle zwischen ihm und den anderen. Das bereitete ihm Sorgen.
Ende September kam der Ball bei den Harlans, der letzte und größte der Saison. Die Akademie würde am Tag davor schließen, denn der allgemeine Aufbruch der Schüler zu herkömmlicheren Schulen stand bevor. Jim war wie üblich nicht eingeladen. Dabei hatte er gehofft, dass es diesmal anders sein würde. Die beiden jungen Harlans, Ronald und Genevieve, waren nach seiner Ankunft in Southampton seine ersten Interessenten gewesen – und Genevieve schließlich war es auch, die eine so besondere Zuneigung zu Amanthis gefasst hatte. Auf ihrem Ball zu sein – dem prächtigsten von allen – hätte den Erfolg des zur Neige gehenden Sommers gekrönt und bestätigt.
Als seine Schüler sich für den Nachmittag versammelten, unterhielten sie sich lauthals über das mit Spannung erwartete Fest des kommenden Tages, und er war froh, als der Unterricht zu Ende war.
»Auf Wiedersehen«, sagte er zu ihnen. Er war in wehmütiger Stimmung, denn seine Idee war ausgespielt, und der Abschied fiel ihnen letztlich nicht schwer. Das Geräusch ihrer startenden Motoren draußen, das triumphierende Geknatter ihrer Auspuffe, die in die warme Septemberluft pufften, war ein frohlockendes Geräusch – ein Geräusch von Jugend und Hoffnungen, hoch wie die Sonne.
Dann waren sie fort; er blieb allein mit Hugo in dem Saal zurück. Er setzte sich hin und verbarg das Gesicht in den Händen. »Hugo«, sagte er heiser. »Sie wollen uns hier oben nicht.«
»Machen Sie sich bloß nichts daraus«, sagte eine Stimme.
Er blickte auf und sah Amanthis neben ihm stehen.
»Gehen Sie lieber mit den anderen«, riet er ihr.
»Warum?«
»Weil Sie jetzt in ihren Kreisen verkehren, während ich für diese Leute nichts Besseres bin als ein Diener. Sie verkehren in der Gesellschaft – dafür habe ich gesorgt. Gehen Sie, sonst laden sie Sie zu keinem ihrer Bälle mehr ein.«
»Das werden sie ohnehin nicht tun, Jim«, sagte sie sanft. »Zu dem Ball morgen Abend haben sie mich auch nicht eingeladen.«
Er blickte empört auf. » Im Ernst nicht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich werde sie dazu zwingen !«, sagte er wütend. »Ich werde ihnen sagen, dass sie es tun müssen. Ich werde – ich werde…«
Sie trat mit glänzenden Augen zu ihm.
»Machen Sie sich doch nichts draus, Jim«, besänftigte sie ihn. »Machen Sie sich nichts draus. Diese Leute sind unwichtig. Wir feiern morgen Abend unsere eigene Party – nur Sie und ich.«
»Ich komme aus einer mächtig feinen Familie«, sagte er trotzig. »Arm, aber fein.«
Sie legte ihm behutsam die Hand auf die Schulter. »Ich verstehe. Keiner von denen ist so nett wie Sie, Jim.«
Er stand auf, ging zum Fenster und blickte trübsinnig in den Spätnachmittag hinaus. »Es wäre wohl besser gewesen, ich hätte Sie in Ihrer Hängematte schlafen lassen.«
Sie lachte. »Ich bin so froh, dass Sie es nicht getan haben.«
Er wandte sich um und schaute ins Zimmer, und sein Gesicht war finster.
»Kehr aus und schließ ab, Hugo«, sagte er mit bebender Stimme. »Der Sommer ist vorbei, und wir fahren nach Haus.«
Es war früh Herbst geworden. Als Jim Powell
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