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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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am nächsten Morgen erwachte, war es kühl in seinem Zimmer, und die Tatsache, dass er im September den Atem vor seinem Mund sehen konnte, verdrängte für einen Moment alle Gedanken an den vorangegangenen Tag. Doch als ihm die Demütigung wieder einfiel, die den fröhlichen Glanz vom Sommer abgewaschen hatte, wurde sein Gesicht vor Kummer ganz lang. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als dorthin zurückzukehren, wo man ihn kannte.
    Nach dem Frühstück gewann er ein gut Teil seiner üblichen Unbeschwertheit wieder. Er war ein Kind des Südens – Grübeln war seinem Wesen fremd. Er konnte eine Kränkung nur soundso oft heraufbeschwören, dann löste sie sich im großen Leerraum der Vergangenheit auf.
    Doch als er, dem Zwang der Gewohnheit folgend, zu seinem einstigen Institut schlenderte, hielt die Schwermut wieder Einzug in sein Herz. Hugo war dort, ein trauriges Gespenst, von tiefer, düsterer Melancholie erfasst.
    Normalerweise genügten ein paar Worte von Jim, um ihn in stumme Begeisterung zu versetzen, doch an diesem Morgen gab es nichts zu sagen. Zwei Monate lang hatte Hugo ein Leben geführt, wie er es sich nie hätte träumen lassen. Er hatte seine Arbeit schlicht und einfach genossen, war jeden Tag vor Unterrichtsbeginn in die Schule gekommen und noch, lange nachdem Mr. Powells Schüler gegangen waren, dort geblieben.
    Der Tag schleppte sich auf einen nicht allzu vielversprechenden Abend zu. Amanthis kam nicht, und Jim fragte sich traurig, ob sie sich wohl anders entschieden hatte und nicht mit ihm zu Abend essen würde. Vielleicht war es besser, wenn man sie nicht mit ihnen zusammen sah. Doch es würde sie ohnehin niemand sehen, dachte er trübselig – alle würden ja bei dem großen Ball in der Harlan-Villa sein.
    Als die Dämmerung unerträgliche Schatten in den Saal warf, riegelte er zum letzten Mal ab, nahm das Schild JAMES POWELL; J. M. – WÜRFEL, SCHLAGRINGE UND GITARRE ab und ging in sein Hotel zurück. Er überflog seine krakeligen Buchhaltungsnotizen und sah, dass noch eine Monatsmiete für den Saal sowie ein paar Rechnungen für zerbrochene Fensterscheiben und neue, kaum benutzte Geräte zu bezahlen waren. Jim hatte großen Aufwand getrieben, und er begriff, dass er letzten Endes für diesen Sommer nichts würde vorzuweisen haben.
    Als er fertig war, holte er seinen neuen feinen Anzug aus der Schachtel und strich mit der Hand über den Satin des Revers und des Futters. Dieser Anzug immerhin gehörte ihm, und vielleicht würde ihn in Tarleton einmal jemand zu einer Party einladen, auf der er ihn tragen könnte.
    »Ach, was soll’s!«, rief er höhnisch. »Es war ja bloß eine dumme, nichtsnutzige Akademie. Ein paar von den Jungs von der Autowerkstatt zu Hause würden die Leute hier allemal in die Tasche stecken.«
    Er begann, in einem nicht uninspirierten Rhythmus Jeanne of Jelly-Bean Town zu pfeifen, warf sich in seinen ersten feinen Anzug und ging in die Stadt.
    »Orchideen«, sagte er zu dem Verkäufer. Er betrachtete seinen Erwerb mit einigem Stolz. Er wusste, dass kein Mädchen auf dem Harlan-Ball etwas Schöneres tragen würde als diese exotischen Blüten, die sich träge an grüne Farne lehnten.
    In einem sorgsam ausgewählten Taxi, das aussah wie ein Privatwagen, fuhr er zu Amanthis’ Pension. Sie kam in einem rosenfarbenen Abendkleid herunter, und die Orchideen verschmolzen darin wie Farben in einem Sonnenuntergang.
    »Ich denke, wir gehen ins Casino Hotel«, schlug er vor, »es sei denn, Sie kennen ein anderes Lokal…«
    Als sie an ihrem Tisch saßen und er auf den dunklen Ozean schaute, wich seine Stimmung einer wunschlosen Traurigkeit. Die Fenster waren wegen der Kälte geschlossen, doch das Orchester spielte All Alone und Tea for Two, und mit Amanthis’ jungem Liebreiz vor Augen hatte er eine Weile das Gefühl, an dem Leben um ihn herum auf romantische Weise teilzunehmen. Sie tanzten nicht, und er war froh darüber – es hätte ihn an jenen anderen, glanzvolleren und heller strahlenden Tanz erinnert, zu dem sie nicht gehen konnten.
    Nach dem Abendessen nahmen sie ein Taxi, folgten eine Stunde lang den sandigen Straßen und sahen hier und da zwischen den Bäumen den sternenklaren Ozean schimmern.
    »Ich möchte Ihnen danken«, sagte sie, »für alles, was Sie für mich getan haben, Jim.«
    »Schon in Ordnung – die Powells müssen zusammenhalten.«
    »Was haben Sie jetzt vor?«
    »Ich breche morgen nach Tarleton auf.«
    »Das tut mir leid«, sagte sie leise. »Fahren Sie mit

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