Winterträume
hier ist mein Bursche Hugo.«
»Ihr Sohn !« Das Mädchen schaute wild fasziniert vom einen zum anderen.
»Nein, er ist mein Leibdiener, so würden Sie wohl sagen. Bei uns im Süden nennt man einen Nigger einen Burschen.«
Bei dieser Anspielung auf die feineren Gebräuche seiner Heimat legte der Bursche Hugo die Hände auf den Rücken und blickte finster und hochmütig über den Rasen.
»Ja, Ma’m«, murmelte er, »ich bin ein Leibdiener.«
»Wohin wollen Sie denn mit Ihrem Automobil?«, erkundigte sich Amanthis.
»Nach Norden, über den Sommer.«
»Wohin genau?«
Der Tourist machte eine lässige Handbewegung, als habe er die Adirondacks, die Thousand Islands oder Newport im Visier – doch er sagte: »Wir wollen nach New York.«
»Waren Sie schon mal dort?«
»Noch nie. Aber ich war etliche Male in Atlanta. Und auf der Fahrt hierher sind wir durch alle möglichen Städte gekommen. Menschenskind!«
Er pfiff, um zum Ausdruck zu bringen, wie überaus spektakulär seine jüngsten Reisen gewesen waren.
»Hören Sie«, sagte Amanthis mit Bestimmtheit, »Sie sollten etwas essen. Tragen Sie Ihrem – Ihrem Leibdiener auf, er soll ums Haus gehen und den Koch bitten, uns ein paar Sandwiches und Limonade bringen zu lassen. Oder vielleicht trinken Sie keine Limonade – das tun ja heute nur noch wenige.«
Mr. Powell schickte Hugo umgehend auf die bezeichnete Mission, indem er mit dem Finger einen Kreis beschrieb. Dann setzte er sich vorsichtig auf einen Schaukelstuhl und begann sich formell mit den Federn seines Huts zu fächeln.
»Sie sind wirklich mächtig nett«, sagte er zu ihr. »Und für den Fall, dass ich was Stärkeres als Limonade brauche, habe ich eine Flasche guten alten Whiskey unten im Wagen. Den habe ich mitgenommen, weil ich nicht sicher war, ob ich den Whiskey von hier oben trinken könnte.«
»Wissen Sie was?«, sagte sie. »Mein Name ist ebenfalls Powell. Amanthis Powell.«
»Ach, ist das denn die Möglichkeit?« Er lachte verzückt. »Vielleicht sind wir ja blutsverwandt. Ich komme aus ’ner mächtig feinen Familie«, fuhr er fort. »Arm, aber fein. Allerdings liefen die Geschäfte recht gut letztes Jahr, also dachte ich mir, ich fahre über den Sommer mal rauf in den Norden.«
In diesem Moment erschien Hugo wieder auf den Verandastufen und ließ sich vernehmen.
»Da is ’ne weiße Lady hinten und fragt, ob ich wohl auch was essen wollen würd. Was sag ich ihr denn da?«
»Du sagst ihr, ja, Ma’m, gern, wenn sie so freundlich sein will«, wies sein Herr ihn an. Und als Hugo wieder gegangen war, verriet er Amanthis: »Der Junge hat keinen Funken Verstand. Er will rein gar nichts tun, wenn ich’s ihm nicht erst erlaubt habe. Ich habe ihn aufgezogen«, fügte er nicht ohne Stolz hinzu.
Als die Sandwiches kamen, stand Mr. Powell auf. Er war nicht an weiße Bedienstete gewöhnt und erwartete offensichtlich, dass sie einander vorgestellt würden.
»Sind Sie eine verheiratete Lady?«, fragte er Amanthis, als der Diener gegangen war.
»Nein«, antwortete sie und setzte aus der sicheren Warte der Achtzehnjährigen hinzu: »Ich bin eine alte Jungfer.«
Erneut lachte er höflich. »Sie meinen, Sie sind ein junges Mädchen, das in der Gesellschaft verkehrt.«
Sie schüttelte den Kopf. Mr. Powell nahm mit schüchterner Begeisterung wahr, wie außerordentlich blond ihr gelbblondes Haar war.
»Sieht dieses alte Haus etwa so aus?«, sagte sie vergnügt. »Nein, Sie haben hier ein Mädchen vom Land vor sich. Meine Verehrer sind Farmer – oder auch vielversprechende junge Barbiere aus dem Nachbardorf, an deren Jackenärmeln noch die Haare eines Kunden haften.«
»Ihr Vater sollte Sie nicht mit einem Landbarbier ausgehen lassen«, sagte der Tourist missbilligend. Er überlegte. »Sie sollten in der Gesellschaft verkehren.«
Er begann rhythmisch mit dem Fuß auf den Boden zu klopfen, und nach einer Weile bemerkte Amanthis, dass sie unwillkürlich das Gleiche tat.
»Hören Sie auf!«, befahl sie. »Verleiten Sie mich nicht dazu.«
Er schaute auf seinen Fuß hinab. »Verzeihen Sie«, sagte er ergeben. »Ich weiß auch nicht – das ist so eine Angewohnheit von mir.«
Diese angeregte Unterhaltung wurde von Hugo unterbrochen, der mit einem Hammer und einer Handvoll Nägel auf den Stufen erschien.
Mr. Powell erhob sich widerstrebend und schaute auf die Uhr. »Verflixt, wir müssen weiter«, sagte er und runzelte heftig die Stirn. »Also. Würden Sie denn gerne in der New Yorker Gesellschaft
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