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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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dem Wagen?«
    »Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich muss den Wagen mit nach Süden nehmen, denn wenn ich ihn verkaufe, kriege ich bestimmt nicht, was er wert ist. Was meinen Sie – es wird ihn doch niemand aus Ihrem Schuppen gestohlen haben?«, fragte er plötzlich beunruhigt.
    Sie unterdrückte ein Lächeln. »Nein.«
    »Es tut mir leid – es tut mir leid für Sie«, fuhr er heiser fort, »und – und ich wäre gern mal zu einem der Bälle hier gegangen. Sie hätten gestern nicht bei mir bleiben sollen. Vielleicht hat man Sie deshalb nicht eingeladen.«
    »Kommen Sie, Jim«, schlug sie aufgeregt vor, »lassen Sie uns hingehen und uns vors Haus stellen und ihrer komischen Musik lauschen. Was kümmert es uns!«
    »Sie werden herauskommen«, wandte er ein.
    »Nein, dafür ist es zu kalt.«
    Sie nannte dem Fahrer die Adresse, und ein paar Minuten später hielten sie vor der behäbigen Schönheit der Madison-Harlan-Villa, deren Fenster die Fröhlichkeit der Gäste in hellen Flecken auf den Rasen warfen. Von drinnen drang Gelächter an ihr Ohr und der klagende Windhauch von Jazzbläsern und hier und da das langsame, geheimnisvoll schleifende Geräusch tanzender Füße.
    »Lassen Sie uns näher herangehen«, flüsterte Amanthis in tranceartiger Verzückung, »ich möchte besser hören können.«
    Sie näherten sich dem Haus und hielten sich im Schatten der großen Bäume. Jim ging voll Ehrfurcht voran – plötzlich blieb er stehen und fasste Amanthis am Arm.
    »Menschenskind!«, rief er in erregtem Flüsterton. »Wissen Sie, was das ist?«
    »Ein Nachtwächter?« Amanthis blickte sich erschrocken um.
    »Das ist Rastus Muldoons Band aus Savannah! Ich habe sie mal gehört, ich bin mir ganz sicher. Es ist Rastus Muldoons Band!«
    Sie gingen noch näher heran, bis sie zuerst Pompadourfrisuren erkennen konnten, dann pomadig glänzende männliche Köpfe, dann Hochsteckfrisuren und schließlich sogar an schwarze Schlipse gepresste Bubiköpfe. Unter dem unablässigen Gelächter hörten sie Geplauder heraus. Zwei Gestalten erschienen auf der Terrasse, nahmen rasch einen Schluck aus dem Flachmann und gingen wieder hinein. Doch die Musik hatte Jim Powell verzaubert. Sein Blick war starr, und er bewegte die Füße wie ein Blinder.
    Dicht hinter ein paar dunkle Büsche gedrängt, lauschten sie. Das Lied ging zu Ende. Vom Ozean blies eine Brise über Amanthis und ihn hinweg, und Jim zitterte ein wenig. Dann, in wehmütigem Flüsterton: »Diese Band wollte ich schon immer mal leiten. Nur ein einziges Mal.« Seine Stimme wurde matt. »Kommen Sie. Gehen wir. Ich gehöre wohl nicht hierher.«
    Er bot ihr seinen Arm, doch anstatt ihn zu nehmen, trat sie plötzlich aus dem Gebüsch heraus und stellte sich ins helle Licht.
    »Kommen Sie schon, Jim«, sagte sie zu seinem Schreck. »Lassen Sie uns hineingehen.«
    »Was…?«
    Sie packte ihn am Arm und zog ihn, der vor Entsetzen über ihre Kühnheit wie gelähmt war, beharrlich immer weiter in Richtung Eingangstür.
    »Passen Sie auf!«, keuchte er. »Gleich kommt jemand aus dem Haus und entdeckt uns!«
    »Nein, Jim«, sagte sie bestimmt. »Niemand kommt aus dem Haus – aber zwei Leute gehen hinein.«
    »Warum?«, fragte er panisch. Er stand jetzt mitten im Licht der Lampen, die die Wagenauffahrt erleuchteten.
    »Warum?«, wiederholte sie amüsiert. »Nun ja, weil dieser Ball zufällig für mich gegeben wird.«
    Er dachte, sie sei verrückt geworden.
    »Kommen Sie mit heim, ehe man uns sieht«, flehte er sie an.
    Die großen Türen schwangen auf, und ein Gentleman trat auf die Veranda. Entsetzt erkannte Jim, dass es Mr. Madison Harlan war. Er machte Anstalten, sich loszureißen und davonzurennen. Doch der Mann kam die Treppe herunter und streckte Amanthis beide Hände entgegen.
    »Na endlich!«, rief er. »Wo seid ihr denn um Himmels willen so lange geblieben? Cousine Amanthis…« Er küsste sie und wandte sich dann freundlich an Jim. »Und was Sie betrifft, Mr. Powell«, fuhr er fort, »– um Ihre Verspätung wiedergutzumachen, müssen Sie mir versprechen, wenigstens eine Nummer lang die Band zu leiten.«
    IV
     
    In New Jersey war es warm, abgesehen von jenem Teil, der unter Wasser stand, und das scherte nur die Fische. Alle Touristen, die ihre Autos durch die langen, grünen Meilen lenkten, hielten vor einem großzügigen alten Landhaus an und betrachteten die rote Schaukel auf dem Rasen und die große, schattige Veranda, seufzten und fuhren weiter – mit einem kleinen

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