Winterträume
recht in einem Gewerbe wie dem meinen, in dem man von der guten Meinung anderer Geschäftsleute so abhängig ist.«
Mit diesen Worten zog Mather seinen Mantel an. Er wollte mit Jacqueline in der Straßenbahn zum Mittagessen nach Hause fahren. Sie hatten zurzeit keinen eigenen Wagen; den alten hatten sie verkauft, und einen neuen wollten sie im Frühjahr kaufen.
Nun war es in der Straßenbahn an diesem Tag ganz besonders unerfreulich. Die Auseinandersetzung im Büro wäre unter anderen Umständen vermutlich vergessen worden, doch was danach geschah, reizte die Stimmung so sehr, dass der kleine Kratzer sich zu einer ernstzunehmenden Infektion auswuchs.
Sie setzten sich in den vorderen Teil des Wagens. Es war Ende Februar, und eine lebhafte, rücksichtslose Sonne verwandelte den spärlichen Straßenschnee in schmutzige Bächlein, die munter im Rinnstein glucksten. Dank dem schönen Wetter war es in der Straßenbahn leerer als sonst, und niemand musste stehen. Der Fahrer hatte sogar sein Fenster geöffnet, und ein warmes Lüftchen blies den letzten Winterhauch aus dem Wagen.
Zufrieden dachte Jacqueline, dass ihr Ehemann, der neben ihr saß, mit seinem attraktiven Aussehen und seinem guten Herzen anderen Männern haushoch überlegen war. Was für eine dumme Idee, ihn ändern zu wollen. Vielleicht würde Bronson das Geld tatsächlich zurückzahlen, und letzten Endes waren dreihundert Dollar kein Vermögen. Natürlich hätte Jim es nicht tun sollen, aber andererseits…
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Schwall von Passagieren sich im Gang drängte. Jacqueline wünschte, die Leute hielten sich beim Husten die Hand vor den Mund, und sie hoffte, dass Jim möglichst bald einen neuen Wagen kaufen würde. Man konnte nie wissen, was für Krankheiten man sich in diesen Straßenbahnen einfing.
Sie wandte sich an Jim, um es ihm zu sagen, doch er war aufgestanden und bot gerade seinen Sitzplatz einer Frau an, die neben ihm im Gang gestanden hatte. Ohne ein Wort des Danks setzte sich die Frau. Jacqueline runzelte die Stirn.
Die Frau war um die fünfzig und unförmig. Als sie sich setzte, gab sie sich zuerst mit dem freien Platz zufrieden, doch schon nach wenigen Sekunden begann sie sich auszubreiten und ihre gewaltigen Fettwülste immer weiter zu verlagern, bis ihr Vorgehen Züge eines eindeutig gewaltsamen Übergriffs annahm. Wenn der Wagen zu Jacquelines Seite schwankte, rutschte die Frau mit, doch wenn er sich in die andere Richtung neigte, gelang es ihr, sich verblüffend raffiniert auf dem eroberten Terrain zu behaupten.
Jacqueline begegnete dem Blick ihres Mannes, der an einem Haltegurt schaukelte, und ihr zorniger Gesichtsausdruck verriet ihm deutlich, was sie von seinem Handeln hielt. Er bat stumm um Verzeihung und richtete seine Aufmerksamkeit umgehend auf eine Reihe Reklametafeln im Wagen. Die kolossale Frau rutschte wieder gegen Jacqueline und saß inzwischen fast halb auf ihr. Dann richtete sie den Blick ihrer verquollenen, unfreundlichen Augen unmittelbar auf Mrs. James Mather und hustete ihr ekelerregend ins Gesicht.
Mit einem unterdrückten Schrei sprang Jacqueline von ihrem Sitz auf, drängte sich schnell und ungestüm an den fetten Knien vorbei und bahnte sich mit zornentbranntem Gesicht einen Weg bis ans Ende des Wagens. Dort hielt sie sich an einem Gurt fest, während ihr beträchtlich beunruhigter Mann sich zu ihr gesellte.
Sie wechselten kein Wort und standen zehn Minuten lang schweigend nebeneinander, während die Männer, die wie aufgereiht vor ihnen saßen, mit ihren Zeitungen raschelten und den Blick sittsam auf die Seite mit den Cartoons gesenkt hielten.
Als sie ausstiegen, konnte Jacqueline nicht länger an sich halten.
»Du Riesenross!«, schrie sie außer sich. »Hast du diese widerwärtige Person gesehen, der du deinen Sitzplatz abgetreten hast? Warum nimmst du nicht ab und zu Rücksicht auf mich statt auf jedes x-beliebige selbstsüchtige Fischweib, das dir über den Weg läuft?«
»Ich konnte doch nicht wissen –«
Aber Jacqueline war so wütend auf ihn wie noch nie in ihrem Leben; es kam selten vor, dass jemand seinetwegen in Rage geriet.
»Ist etwa einer dieser Männer aufgestanden, um mir seinen Platz anzubieten? Kein Wunder, dass du am Montag zu müde warst, um auszugehen. Wahrscheinlich hattest du jemandem deinen Sitzplatz abgetreten – irgendeiner ekelhaften polnischen Putzfrau, die so stark ist wie ein Ochse und der es gar nichts ausmacht, zu stehen!«
Sie gingen
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