Winterträume
gegeben, und obwohl alle Altersklassen vertreten waren, stammten die Tänzer hauptsächlich aus der Schule und vom College, während die jüngeren Ehepaare sich auf dem Zirkusball der Townsends im Tallyho Club befanden. Mrs. Tate stand neben der Tür des Ballsaals, ließ Millicent nicht aus den Augen und strahlte, wenn ihre Blicke sich begegneten. Neben ihr standen zwei Speichelleckerinnen mittleren Alters, die sagten, was für ein rundum bezauberndes Kind Millicent doch sei. In diesem Augenblick zerrte jemand an Mrs. Tates Rock, und Emily, ihre jüngste, elfjährige Tochter, warf sich mit einem lauten »Iih!« der Mutter in die Arme.
»Emily, was ist denn passiert?«
»Mama«, sagte Emily, der es trotz ihrer weit aufgerissenen Augen nicht die Sprache verschlagen hatte, »draußen auf der Treppe ist etwas.«
»Wie?«
»Draußen auf der Treppe ist so ein Ding, Mama. Ich glaube, es ist ein großer Hund, Mama, aber es sieht nicht wie ein Hund aus.«
»Was willst du damit sagen, Emily?«
Die Speichelleckerinnen wackelten mitfühlend mit dem Kopf.
»Mama, es sieht aus wie – wie ein Kamel.«
Mrs. Tate lachte.
»Schätzchen, du hast einen dummen alten Schatten gesehen, weiter nichts.«
»Nein, so war es nicht. Ein Ding, Mama, riesengroß. Ich war gerade auf dem Weg nach unten, weil ich nachsehen wollte, ob noch Leute kommen, und da kam dieser Hund oder was auch immer die Treppe herauf. Irgendwie komisch, Mama, als wäre es lahm. Und dann hat es mich gesehen und hat irgendwie geknurrt, und auf dem Treppenabsatz ist es ausgerutscht, und ich bin weggelaufen.«
Mrs. Tate lachte nicht mehr.
»Irgendetwas muss das Kind gesehen haben«, sagte sie.
Die Speichelleckerinnen stimmten ihr zu, dass das Kind irgendetwas gesehen haben müsse – und schnell traten alle drei Frauen instinktiv einen Schritt von der Tür weg, als draußen vor dem Zimmer gedämpfte Schritte vernehmbar wurden.
Dann ertönten drei unterdrückte Aufschreie, als eine dunkelbraune Gestalt um die Ecke kam und sie etwas erblickten, was offenbar ein riesiges Tier war, das sie mit hungrigem Blick betrachtete.
»Huch!«, rief Mrs. Tate.
»Ooh!«, riefen die Damen im Chor.
Das Kamel buckelte seinen Rücken unversehens zu einem Höcker, und aus den unterdrückten Schreien wurden laute Schreie.
»Oh, sehen Sie nur!«
»Was ist das?«
Der Tanz wurde unterbrochen, aber die Tänzer, die herbeigelaufen kamen, gewannen einen völlig anderen Eindruck von dem Eindringling; in der Tat vermuteten die jungen Leute sofort, dass es sich um eine Inszenierung handelte, einen Komiker, der bestellt worden war, um die Gäste zu amüsieren. Die Jungen in langen Hosen betrachteten das Kamel ziemlich geringschätzig und schlenderten mit den Händen in den Hosentaschen herbei in dem undeutlichen Gefühl, für dumm verkauft zu werden. Die Mädchen hingegen quietschten vor Begeisterung.
»Ein Kamel!«
»Sieht das nicht komisch aus!«
Das Kamel stand unschlüssig da, schwankte leicht hin und her und schien den Raum mit einem vorsichtigen Blick zu taxieren; als wäre es plötzlich zu einem Entschluss gelangt, drehte es sich dann um und zockelte eilig zur Tür hinaus.
Mr. Howard Tate war gerade aus der Bibliothek im Erdgeschoss gekommen und unterhielt sich im Eingangsraum mit einem jungen Mann. Plötzlich hörten sie von oben Rufe und fast gleichzeitig eine Abfolge dumpfer Erschütterungen, gefolgt vom überstürzten Auftauchen eines großen braunen Tiers am Fuß der Treppe, eines Tiers, das in Eile zu sein schien.
»Mich laust der Affe!«, sagte Mr. Tate verblüfft.
Das Tier richtete sich nicht ohne Würde auf, und mit gespielter Nonchalance, als hätte es sich gerade an eine wichtige Verabredung erinnert, machte es sich ungleichmäßigen Schritts zur Eingangstür auf. Die zwei Vorderbeine begannen unauffällig zu rennen.
»Hiergeblieben!«, sagte Mr. Tate streng. »Halt! Butterfield, packen Sie es am Schlafittchen! Halten Sie es fest!«
Der junge Mann schlang seine Arme bezwingend um das Hinterteil des Kamels, und als das Vorderteil merkte, dass jede weitere Bewegung aussichtslos war, fügte es sich in die Gefangenschaft und verharrte resigniert an Ort und Stelle, wenn auch beträchtlich aufgewühlt. Inzwischen strömten zahlreiche junge Leute die Treppe herunter, und Mr. Tate, der auf alles gefasst war, von einem einfallsreichen Einbrecher bis zu einem entflohenen Irrenhausinsassen, erteilte dem jungen Mann knappe Anweisungen: »Halten Sie ihn fest!
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