Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
helle Gesichtshaut war in einem warmen, schimmernden Olivton geschminkt, und auf ihren Armen und dem Halbmond ihres Rückens wanden sich aufgemalte Schlangen mit je einem einzelnen giftgrünen Auge. Ihre Füße steckten in Sandalen, und ihr Rock war bis zu den Knien geschlitzt, so dass man, wenn sie sich bewegte, weitere kleine Schlangen zu sehen bekam, die über ihren nackten Fesseln auf ihre Beine gemalt waren. Um ihren Hals wand sich eine glitzernde Kobra. Alles in allem ein bezauberndes Kostüm, das die nervöseren unter den älteren Damen dazu veranlasste, zurückzuweichen, wenn sie an ihnen vorbeiging, und die lästigeren dazu, sich lautstark darüber auszulassen, dass so etwas »nicht erlaubt« sein sollte und »völlig unerhört« sei.
    Perry aber sah durch die trüben Augen des Kamels nur ihr strahlendes, lebhaftes, fröhliches Gesicht, das vor Erregung glänzte, und ihre Arme und Schultern, deren geschmeidige und ausdrucksvolle Bewegungen Betty zum Mittelpunkt einer jeden Gruppe machten. Er war fasziniert, und diese Faszination hatte eine ernüchternde Wirkung. Mit wachsender Klarheit kehrten die Ereignisse des Tages zurück, Zorn stieg in ihm auf, und in der undeutlichen Absicht, Betty aus dem Kreis der anderen zu entführen, bewegte er sich auf sie zu – besser gesagt, er zog sein Kostüm in die Länge, denn er hatte vergessen, seinem Kompagnon die für eine Bewegung unerlässliche Anweisung zu erteilen.
    Doch in diesem Augenblick hatte das unbeständige Schicksal, das einen ganzen Tag lang boshaft und zynisch mit ihm gespielt hatte, den Entschluss gefasst, ihn großzügig für das Vergnügen zu belohnen, das er ihm verschafft hatte. Das Schicksal sorgte dafür, dass die braunen Augen der Schlangenbeschwörerin ihren Blick auf das Kamel richteten. Und es brachte sie dazu, sich zu dem Mann neben ihr hinüberzubeugen und ihn zu fragen: »Wer ist das? Dieses Kamel?«
    »Keine Ahnung.«
    Doch ein kleiner Mann namens Warburton, der über alles auf dem Laufenden war, konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: »Es ist mit Mr. Tate gekommen. Ein Teil von ihm ist wahrscheinlich Tates Gast Warren Butterfield, der New Yorker Architekt, der bei den Tates zu Besuch ist.«
    Etwas regte sich in Betty Medill – das uralte Interesse eines Mädchens aus der Provinz an Besuchern aus der Großstadt.
    »Oh«, sagte sie beiläufig nach einer kurzen Pause.
    Nach dem nächsten Tanz befanden sich Betty und ihr Tanzpartner nur wenige Schritte von dem Kamel entfernt. Mit der zwanglosen Kühnheit, die für den Abend charakteristisch war, streckte sie die Hand aus und streichelte sanft die Schnauze des Kamels.
    »Hallo, altes Kamel.«
    Das Kamel regte sich unbehaglich.
    »Hast du Angst vor mir?«, fragte Betty und hob vorwurfsvoll die Augenbrauen. »Das musst du nicht. Wie du siehst, bin ich Schlangenbeschwörerin, aber mit Kamelen kann ich auch gut umgehen.«
    Das Kamel verbeugte sich sehr tief, und irgendjemand machte die unvermeidliche Bemerkung über die Schöne und das Untier.
    Mrs. Townsend näherte sich ihnen.
    »Also wirklich, Mr. Butterfield«, sagte sie ermutigend, »nie im Leben hätte ich Sie erkannt.«
    Perry verbeugte sich wieder und schmunzelte vergnügt hinter seiner Maske.
    »Und wer ist Ihr Freund?«, fragte Mrs. Townsend.
    »Oh«, sagte Perry, dessen Stimme durch den dicken Stoff gedämpft und kaum wiederzuerkennen war, »er ist kein Freund, Mrs. Townsend. Er gehört zu meinem Kostüm.«
    Mrs. Townsend lachte und entfernte sich. Perry wendete sich wieder zu Betty um.
    ›Aha!‹, dachte er. ›So wenig macht sie sich also aus mir! Am Tag unserer endgültigen Trennung flirtet sie sofort mit einem anderen, einem völlig Fremden!‹
    Ohne zu überlegen, stieß er sie leicht mit der Schulter an und deutete mit dem Kopf zum Flur, zum Zeichen, dass sie ihren Partner verlassen und ihn begleiten solle.
    »Adieu, Rus«, rief sie ihrem Tanzpartner zu. »Das alte Kamel hat mich eingefangen. Wohin gehen wir, Fürst der Tiere?«
    Das edle Tier erwiderte nichts, sondern stolzierte gravitätisch auf einen abgelegenen Winkel neben der Hintertreppe zu.
    Dort ließ Betty sich nieder, und nach einigem Durcheinander, verbunden mit schroffen Befehlen und den Geräuschen einer hitzigen Auseinandersetzung im Inneren des Kamels, nahm das Tier neben ihr Platz, die Hinterbeine unbequem über zwei Treppenstufen ausgebreitet.
    »He, altes Haus«, sagte Betty munter, »wie gefällt dir unsere fröhliche Party?«
    Das alte Haus gab

Weitere Kostenlose Bücher