Winterträume
Tante Josephine.«
»Aber Kind!«
»Gefällt es dir?«
»Aber Ber-nice!«
»Jetzt habe ich dich wohl schockiert.«
»Nein, aber was wird Mrs. Deyo morgen Abend denken? Bernice, du hättest bis nach dem Tanzfest bei den Deyos warten sollen – du hättest noch warten sollen, wenn du so etwas machen wolltest.«
»Es war eine spontane Idee, Tante Josephine. Außerdem – warum sollte es gerade Mrs. Deyo etwas ausmachen?«
»Ach Kind«, rief Mrs. Harvey, »beim letzten Treffen des Donnerstagsclubs hat sie in ihrem Vortrag über ›Die Schwächen der jüngeren Generation‹ dem Bubikopf volle fünfzehn Minuten gewidmet. Es ist das Thema, über das sie sich am allerliebsten entrüstet. Und sie gibt dieses Tanzfest für dich und Marjorie!«
»Es tut mir leid.«
»Oh, Bernice, was wird bloß deine Mutter sagen? Sie wird glauben, ich hätte es dir erlaubt.«
»Es tut mir leid.«
Das Abendessen war eine Qual. Sie hatte hastig mit dem Lockenstab experimentiert und sich dabei den Finger und viel Haar verbrannt. Sie sah, dass ihre Tante besorgt und bekümmert war, und ihr Onkel sagte in gekränktem und leicht feindseligem Ton wieder und wieder: »Wie ist das bloß zu fassen.« Und Marjorie saß, hinter einem leichten, einem leicht spöttischen Lächeln verschanzt, ganz still da.
Irgendwie überstand Bernice den Abend. Drei Jungen kamen vorbei; Marjorie verschwand mit einem davon, und Bernice unternahm den lustlosen, vergeblichen Versuch, die beiden anderen zu unterhalten – und seufzte dankbar auf, als sie gegen halb elf hinaufging, um sich in ihr Zimmer zurückzuziehen. Was für ein Tag!
Während sie sich auszog, öffnete sich die Tür und Marjorie kam herein. »Bernice«, sagte sie. »Das mit dem Tanzfest bei den Deyos tut mir schrecklich leid. Ich hatte es völlig vergessen, Ehrenwort.«
»Schon gut«, gab Bernice knapp zurück. Sie stand vor dem Spiegel und zog mit langsamen Strichen den Kamm durch ihr kurzes Haar.
»Lass uns morgen zusammen in die Stadt gehen«, fuhr Marjorie fort. »Der Friseur wird sich was einfallen lassen, damit du toll aussiehst. Ich hätte nicht gedacht, dass du es machen würdest. Es tut mir wirklich furchtbar leid.«
»Ach, schon gut!«
»Wenigstens ist es dein letzter Abend, da macht es wohl nicht so viel aus.«
Dann zuckte Bernice zusammen, als Marjorie sich das eigene Haar über die Schulter warf und es langsam zu zwei langen, blonden Zöpfen zu flechten begann, bis sie in ihrem cremefarbenen Négligé dem zarten Bildnis einer sächsischen Prinzessin glich. Fasziniert sah Bernice die Zöpfe wachsen. Schwer und üppig bewegten sie sich unter den biegsamen Fingern wie unruhige Schlangen – und Bernice blieben nur diese Reste und der Lockenstab und die Aussicht auf einen Tag voller Blicke. Sie sah es schon vor sich, wie G. Reece Stoddard, der sie mochte, sein Harvard-Gebaren annahm und seiner Tischdame erklärte, man hätte Bernice nicht erlauben sollen, so viel ins Kino zu gehen; sie sah Draycott Deyo Blicke mit seiner Mutter wechseln und sich dann pflichtschuldig ihrer annehmen. Doch vielleicht würde die Neuigkeit ja bis morgen schon an Mrs. Deyos Ohr gedrungen sein; vielleicht würde sie eine eisige kleine Nachricht schicken, Bernice möge bitte davon absehen, bei ihr zu erscheinen – und alle würden hinter ihrem Rücken lachen und wissen, dass Marjorie sie zum Gespött gemacht hatte; dass ihre aufblühende Schönheit der eifersüchtigen Laune eines selbstverliebten Mädchens geopfert worden war. Sie setzte sich plötzlich vor den Spiegel und biss sich auf die Innenseite ihrer Wange.
»Mir gefällt es«, sagte sie nach einiger Überwindung. »Ich glaube, man wird sagen, dass es mir steht.«
Marjorie lächelte. »Es sieht nicht schlecht aus. Zerbrich dir um Himmels willen nicht den Kopf deswegen!«
»Nein, nein.«
»Gute Nacht, Bernice.«
Doch als die Tür zufiel, zerriss etwas in Bernice. Voller Elan sprang sie auf, ballte die Fäuste und ging rasch und geräuschlos zu ihrem Bett hinüber, um ihren Koffer darunter hervorzuzerren. Sie warf ihre Toilettenartikel und Kleidung zum Wechseln hinein. Dann drehte sie sich zum Schrank um und kippte zwei Schubladen voller Unterwäsche und Sommerkleider in den Koffer. Sie bewegte sich leise, aber mit tödlicher Effizienz, und innerhalb einer Dreiviertelstunde war ihr Koffer verschlossen und verschnürt, und sie selbst hatte ein kleidsames neues Reisekostüm an, das auszusuchen Marjorie ihr geholfen hatte.
Sie setzte sich an
Weitere Kostenlose Bücher