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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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ihren Schreibtisch und verfasste einen knappen Brief an Mrs. Harvey, in dem sie kurz die Gründe ihrer Abreise skizzierte. Sie versiegelte ihn, adressierte ihn und legte ihn auf ihr Kissen. Dann schaute sie auf ihre Armbanduhr. Der Zug fuhr um eins, und sie wusste, dass sie beim Marlborough Hotel, das nur zwei Querstraßen entfernt war, ohne weiteres ein Taxi bekommen würde.
    Plötzlich zog sie scharf die Luft ein, und in ihren Augen blitzte ein Ausdruck auf, den ein im Charakterstudium geübter Beobachter mit jener entschlossenen Miene in Verbindung hätte bringen können, die sie auf dem Friseurstuhl gezeigt hatte – quasi eine Weiterentwicklung derselben. Für Bernice war es ein ganz neuer Ausdruck – und er hatte Folgen.
    Sie schlich zu ihrer Kommode, nahm einen dort liegenden Gegenstand in die Hand, löschte alle Lichter und blieb stehen, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Behutsam drückte sie die Tür zu Marjories Zimmer auf. Sie hörte den leisen, gleichmäßigen Atem eines Menschen, der mit ruhigem Gewissen schläft.
    Einen Augenblick später stand sie sehr besonnen und beherrscht am Bettrand. Sie handelte rasch. Beugte sich vor, fand einen von Marjories geflochtenen Zöpfen und tastete sich mit der Hand daran entlang, bis sie so nah wie möglich am Kopf war, und während sie das Haar möglichst locker hielt, damit die Schlafende kein Ziehen verspürte, fuhr sie mit der Schere nach unten und trennte es ab. Den Zopf in der Hand, hielt sie den Atem an. Marjorie hatte im Schlaf gemurmelt. Bernice amputierte flink und geschickt den anderen Zopf, hielt einen Moment inne und huschte dann rasch und leise wieder in ihr Zimmer.
    Unten öffnete sie die große Haustür, zog sie vorsichtig hinter sich ins Schloss und trat, den schweren Koffer wie eine Einkaufstasche schwenkend, mit einem sonderbar freudigen, überschwenglichen Gefühl von der Veranda hinunter ins Mondlicht. Nachdem sie eine Minute forsch vorangeschritten war, stellte sie fest, dass sie die beiden blonden Zöpfe noch in der Hand hielt. Sie lachte unvermittelt auf – musste die Lippen fest zusammenkneifen, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Jetzt kam sie an Warrens Haus vorbei, und einer spontanen Eingebung folgend, stellte sie ihren Koffer ab, schwang die Zöpfe wie Taue und schleuderte sie auf die Holzveranda, wo sie mit einem leichten, dumpfen Schlag landeten. Sie lachte erneut, diesmal ohne sich zu bezähmen.
    »Hihi!«, kicherte sie wildvergnügt. »Das selbstsüchtige Ding hätten wir skalpiert!«
    Dann nahm sie ihren Koffer und setzte, halb im Laufschritt, ihren Weg auf der mondbeschienenen Straße fort.

Der Eispalast
     
    I
     
    Sonnenlicht tropfte am Haus herunter wie goldene Farbe an einem kunstvollen Gefäß, und die verstreuten Schattensprenkel ließen die Helligkeit, in die alles getaucht war, nur noch gewaltiger und gleißender erscheinen. Die Häuser, rechts das von den Butterworths und links das von den Larkins, hatten sich hinter dicken, massigen Bäumen verschanzt; nur das Haus der Happers kriegte die Sonne voll ab und schaute den lieben langen Tag nachsichtig, freundlich und geduldig auf die staubige Landstraße. Das war die Stadt Tarleton im südlichsten Winkel von Georgia an einem Nachmittag im September.
    Oben in ihrem Zimmer stützte Sally Carrol Happer ihr neunzehnjähriges Kinn aufs zweiundfünfzigjährige Fensterbrett und sah zu, wie der alte Ford von Clark Darrow um die Ecke gebogen kam. Der Wagen glühte fast; er war größtenteils aus Metall, das die ganze teils absorbierte, teils selbsterzeugte Hitze speicherte, und Clark Darrow saß mit schmerzverzerrter, angestrengter Miene kerzengerade hinterm Lenkrad und schien zu glauben, er sei selbst ein Autoteil – eines, das jeden Augenblick den Geist aufgeben konnte. Mühsam überwand er zwei Sandhuckel, bei deren Berührung die Räder erzürnt aufkreischten, riss mit furchteinflößender Miene das Steuer krampfhaft ein letztes Mal herum und pflanzte sich mitsamt dem Auto mehr oder minder vor der Eingangstreppe des Happer’schen Hauses auf. Ein Klagelaut, ein Ächzen, ein Todesröcheln, dann Stille – dann ein gellender, die Luft zerfetzender Pfiff.
    Sally Carrol guckte schläfrig runter. Sie wollte gähnen, merkte aber, dass sie dazu erst das Kinn vom Fensterbrett nehmen musste, und da ließ sie’s sein und guckte weiter stumm zum Wagen hin, dessen Eigentümer strahlend, wenn auch ein wenig gekünstelt, in Habachtstellung dasaß und

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