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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sie Marjories Eigentum gestohlen. Auf einmal fühlte sie sich entsetzlich schuldig. Nach dem Bridge, als sie in lockerer Runde beisammensaßen und sich unterhielten, brach der Sturm allmählich los. Es war der kleine Otis Ormonde, der ihn unbeabsichtigt auslöste.
    »Wann gehst du wieder in den Kindergarten, Otis?«, hatte ihn irgendjemand gefragt.
    »Ich? Sobald Bernice sich einen Bubikopf schneiden lässt.«
    »Dann ist deine Ausbildung bereits zu Ende«, sagte Marjorie schnell. »Sie hat nur geblufft. Das hättest du eigentlich merken müssen.«
    »Tatsache?«, fragte Otis und bedachte Bernice mit einem vorwurfsvollen Blick.
    Bernice bekam glühend rote Ohren, während sie nach einer wirkungsvollen Replik sann. Angesichts dieses Frontalangriffs war ihre Phantasie wie gelähmt.
    »Es wird viel geblufft in der Welt«, fuhr Marjorie ganz freundlich fort. »Du bist eigentlich jung genug, um das zu wissen, Otis.«
    »Na ja«, sagte Otis. »Mag sein. Aber wirklich – so ein Spruch wie der von Bernice –«
    »Ach ja?«, gähnte Marjorie. »Was ist denn ihr neustes Bonmot?«
    Niemand schien es zu wissen. Genau genommen hatte Bernice in letzter Zeit, während sie mit dem Verehrer ihrer Muse spielte, nichts Bemerkenswertes mehr von sich gegeben.
    »War das wirklich nur ein Spruch?«, wollte Roberta wissen.
    Bernice zögerte. Sie spürte, dass irgendetwas Geistreiches von ihr erwartet wurde, doch unter den plötzlich so kalten Augen ihrer Cousine fühlte sie sich dazu vollends außerstande. »Ich weiß nicht«, sagte sie, um Zeit zu gewinnen.
    »Na los!«, sagte Marjorie. »Gib’s zu!«
    Bernice sah, dass Warrens Blick sich von der Ukulele, an der er herumgezupft hatte, löste und sich fragend auf sie heftete.
    »Ach, ich weiß es nicht!«, wiederholte sie. Ihre Wangen glühten.
    »Na los!«, rief Marjorie noch einmal.
    »Geben Sie sich einen Ruck, Bernice«, drängte Otis sie. »Zeigen Sie ihr, wo Schluss ist.«
    Bernice schaute erneut in die Runde – unfähig, sich Warrens Blick zu entziehen.
    »Mir gefällt kurzes Haar«, sagte sie rasch, als hätte er ihr eine Frage gestellt, »und ich werde mir einen Bubikopf schneiden lassen.«
    »Wann?«, fragte Marjorie.
    »Egal.«
    »Am besten sofort«, schlug Roberta vor.
    Otis sprang auf. »Tolle Idee!«, rief er. »Wir veranstalten eine Bubikopf-Sommerparty! Im Herrensalon des Sevier Hotels, richtig?«
    Augenblicklich waren alle auf den Beinen. Bernice’ Herz hämmerte wie wild. »Was?«, keuchte sie.
    Mitten aus der Gruppe ertönte, sehr klar und verächtlich, Marjories Stimme. »Keine Sorge – sie macht noch einen Rückzieher.«
    »Kommen Sie schon, Bernice!«, rief Otis und lief zur Tür.
    Vier Augen – Warrens und Marjories – starrten sie an, provozierten sie, forderten sie heraus. Eine weitere Sekunde lang schwankte sie heftig. »Na gut«, sagte sie rasch. »Dann mach ich’s eben.«
    Als sie eine Ewigkeit von Minuten später neben Warren durch den Spätnachmittag gen Stadt fuhr, von den anderen in Robertas Wagen dicht gefolgt, fühlte Bernice sich ganz und gar wie Marie Antoinette im Schinderkarren auf dem Weg zur Guillotine. Benommen fragte sie sich, warum sie nicht laut hinausschrie, dass dies alles ein Irrtum sei. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich mit beiden Händen ins Haar gegriffen, um es vor einer schlagartig feindlich gewordenen Welt zu beschützen. Doch sie tat beides nicht. Selbst der Gedanke an ihre Mutter war keine Abschreckung mehr. Hier stand ihr Sportgeist auf dem Prüfstand; ihr Recht, unbehelligt in den Sternenhimmel der umschwärmten Mädchen aufzusteigen.
    Warren verharrte in mürrischem Schweigen, und als sie beim Hotel ankamen, hielt er am Bordstein und gab Bernice mit einem Nicken zu verstehen, sie solle vor ihm aussteigen. Robertas Wagen entließ eine lachende Meute in das Geschäft, das der Straße zwei kühne Glasfenster präsentierte.
    Bernice stand am Bordstein und blickte auf das Schild, Sevier Herrensalon. Es war in der Tat eine Guillotine, und der Henker war der erste Barbier, der, in eine weiße Jacke gekleidet und eine Zigarette rauchend, lässig am ersten Stuhl lehnte. Er hatte bestimmt schon von ihr gehört; hatte bestimmt die ganze Woche gewartet und neben jenem unheilvollen, zu oft erwähnten ersten Stuhl eine Zigarette nach der anderen geraucht. Würde man ihr die Augen verbinden? Nein, aber man würde ihr einen weißen Umhang um den Hals legen, damit kein Blut – Unsinn: Haar – auf ihre Kleider kam.
    »Also gut,

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