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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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als höchstens fünfzehn Jahre.
    »Na, und wie findest du’s hier oben?«, fragte Harry eifrig. »Bist du überrascht? Ich meine, ist alles so, wie du es dir erwartet hast?«
    »Du schon, Harry«, sagte sie leise und streckte ihre Arme nach ihm aus.
    Er aber ließ sich nur zu einem kurzen Kuss herbei, denn offensichtlich drängte es ihn gar zu sehr, ihr ein paar Worte der Begeisterung zu entlocken.
    »Ich meine, die Stadt. Gefällt sie dir? Spürst du den Schwung, der in der Luft liegt?«
    »Ach, Harry«, erwiderte sie lachend, »lass mir ein bisschen Zeit. Du kannst mich doch nicht einfach so mit Fragen bombardieren.«
    Zufrieden seufzend paffte sie an ihrer Zigarette.
    »Eins würde ich dich gerne fragen«, begann er vorsichtig; »ihr Südstaatler legt doch so großen Wert auf die Familie und so weiter – nicht dass da was dagegenspräche, aber du wirst sehen, dass das hier ein bisschen anders ist. Ich meine – dir wird vieles auffallen, was dir zunächst vulgär und protzig vorkommen mag, Sally Carrol; aber du darfst nicht vergessen: Das hier ist eine Drei-Generationen-Stadt. Hier hat jeder einen Vater, und ungefähr die Hälfte von uns hat einen Großvater. Doch weiter geht es bei uns nicht zurück.«
    »Ja, natürlich«, murmelte sie.
    »Verstehst du, unsere Großväter haben die Stadt gegründet, und während dieser Gründerzeit mussten viele davon allerlei ziemlich eigenartigen Berufen nachgehen. Wir haben da zum Beispiel eine Frau, die heutzutage für die bessere Gesellschaft dieser Stadt praktisch das Vorbild ist; tja, und ihr Vater war der erste Straßenkehrer, den wir hatten – so was halt.«
    »Ja, und?«, fragte Sally Carrol verwundert. »Hast du etwa Angst, ich mache unpassende Bemerkungen über wildfremde Leute?«
    »Aber nicht doch«, fiel Harry ihr ins Wort; »und ich entschuldige mich auch für niemanden. Die Sache ist ganz einfach die – nun ja, also, vergangenen Sommer war eine aus dem Süden hier, die ein paar recht heikle Dinge gesagt hat, und – ach, ich hab mir halt gedacht, ich erzähle dir das mal.«
    Plötzlich war Sally Carrol richtig aufgebracht – als hätte man sie ohne Grund gezüchtigt –, für Harry aber war das Thema damit offenbar erledigt, denn nun ließ er sich geradezu von einer Woge der Begeisterung forttragen.
    »Weißt du, es ist Karneval. Der erste seit zehn Jahren. Und jetzt bauen sie einen Eispalast; den letzten hatten wir achtzehnfünfundachtzig. Sie nehmen nur die allerreinsten, allerklarsten Eisblöcke, die sie auftreiben konnten – und riesengroß soll er werden.«
    Sally Carrol stand auf und ging ans Fenster, schob die schweren türkischen Vorhänge beiseite und schaute hinaus.
    »Oh!«, rief sie plötzlich. »Da draußen sind zwei kleine Jungen, die bauen einen Schneemann! Was meinst du, Harry, ob ich rausgehen kann und ihnen helfen?«
    »Du träumst wohl! Komm mal lieber her und küss mich.«
    Widerwillig trat sie vom Fenster zurück.
    »Das Klima hier regt wohl nicht grad zum Küssen an, nicht wahr? Es sorgt anscheinend eher dafür, dass man keine große Lust hat, drinnen herumzuhocken, was?«
    »Das werden wir auch nicht. Die erste Woche, die du hier bist, hab ich Urlaub, und heute Abend gehen wir zu einer Dinnerparty, wo getanzt wird.«
    »Ach, Harry«, gestand sie, während sie, halb auf seinem Schoß, halb auf den Kissen, in sich zusammensank, »ich bin tatsächlich ganz schön durcheinander. Ich hab nicht die leiseste Ahnung, ob ich mich hier wohl fühlen werde oder nicht, und ich weiß auch gar nicht, was die Leute hier von mir erwarten und so weiter. Du musst mir’s einfach sagen, Schatz.«
    »Ich sag dir alles«, erwiderte er sanft, »wenn du mir sagst, dass du froh bist, hier zu sein.«
    »Froh – ganz schrecklich froh!«, flüsterte sie und schmiegte sich auf ihre sehr spezielle Art in seine Arme. »Wo du bist, Harry, ist für mich zu Hause.«
    Und als sie diese Worte aussprach, hatte sie – vielleicht ziemlich zum ersten Mal im Leben – das Gefühl, eine Rolle zu spielen.
    Am Abend bei der Dinnerparty dann, im Lichterglanz der Kerzen, war die Unterhaltung, wie ihr schien, größtenteils Männersache, indes die Mädchen hochmütig und spröde in ihren teuren Kleidern herumsaßen; sie fühlte sich nicht wohl in diesem Kreis, und nicht mal Harrys Nähe konnte daran etwas ändern.
    »Lauter gutaussehende Burschen, findest du nicht auch?«, fragte er sie. »Schau dich ruhig um. Das da ist Spud Hubbard, der war letztes Jahr in Princeton Stürmer,

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