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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Freude war.
    Die Familie Bellamy verwirrte sie anfangs. Auf die Männer war Verlass; sie mochte sie; besonders zu Mr. Bellamy mit seinem eisgrauen Haar und seinem energischen, würdevollen Wesen, fasste sie schnell Zuneigung, zumal, als sie erfuhr, dass er in Kentucky geboren war, was ihn für sie gleichsam zu einem Bindeglied zwischen ihrem alten und ihrem neuen Leben machte. Jedoch den Frauen gegenüber empfand sie vom ersten Moment an eine ganz entschiedene Abneigung. Myra, ihre zukünftige Schwägerin, war für sie der Inbegriff geistloser Konventionalität. Ihre Gespräche entbehrten so durch und durch jeglicher persönlichen Note, dass Sally Carrol, die aus einem Land kam, in dem man bei einer Frau immerhin ein gewisses Maß an Charme und Selbstvertrauen voraussetzen durfte, sie beinah schon verachtete.
    ›Wenn diese Frauen hier nicht schön sind‹, dachte sie, ›dann sind sie gar nichts. Du schaust sie an, und sie verblassen unter deinen Augen. Sie sind nichts weiter als Hausangestellte, die man mit einem Glorienschein versehen hat. In jeder gemischten Gesellschaft stehen immer nur die Männer im Mittelpunkt.‹
    Und schließlich war da noch Mrs. Bellamy, die Sally Carrol richtiggehend hasste. Ihr erster Eindruck – dieser Vergleich mit einem Ei – hatte sich bestätigt: ein Ei mit brüchiger, geäderter Stimme und derart plumpen, ungraziösen Umgangsformen, dass Sally Carrol immer dachte, wenn diese Frau einmal hinfallen sollte, dann würde sie wohl in der Tat als Rührei enden. Überdies verkörperte Mrs. Bellamy gleichsam den Geist dieser Stadt, in der man jedem Fremden mit eingefleischter Abneigung begegnete. Zu Sally Carrol sagte sie einfach nur »Sally«, und es war ihr einfach nicht beizubringen, dass der zweite Name nicht nur ein lästiger und obendrein lächerlicher Spitzname war. Diese Verkürzung ihres Namens war für Sally Carrol so, als würde man sie halbnackt ans Licht der Öffentlichkeit zerren. »Sally Carrol« fand sie wunderschön, aber »Sally« allein fand sie widerwärtig. Sie wusste auch, dass Harrys Mutter ihr Bubikopf missfiel, und nachdem Mrs. Bellamy damals, am ersten Tag, mit schnüffelnd hochgestellter Nase in die Bibliothek gekommen war, hatte sie sich auch nie wieder getraut, unten zu rauchen.
    Von den Männern, die sie bis jetzt getroffen hatte, gefiel ihr am besten Roger Patton, der ein häufiger Gast im Hause Bellamy war. Zwar kam er nie mehr auf die an Ibsen gemahnenden Anlagen der Bevölkerung zu sprechen, doch als er sie bei einem seiner Besuche Peer Gynt lesend auf dem Sofa antraf, erklärte er ihr lachend, sie solle getrost vergessen, was er ihr gesagt habe, das sei alles Unfug.
    Und dann, in der zweiten Woche ihres Aufenthalts, gerieten Harry und sie eines Nachmittags plötzlich in Streit – in einen Streit, der gefährlich nahe daran war, in einen regelrechten Krieg auszuarten. Aus Sally Carrols Sicht hatte Harry die Sache heraufbeschworen, obwohl ihr Serbien in Gestalt eines Unbekannten mit ungebügelten Hosen dahergekommen war.
    Sie waren auf dem Heimweg gewesen, flankiert von hoch aufgetürmten Schneewällen und unter einer Sonne, die Sally Carrol kaum als solche wahrnahm. Unterwegs begegneten sie einem kleinen Mädchen, das in dickes graues Wollzeug eingemummelt war und beinah wie ein kleiner Teddybär aussah, und Sally Carrol konnte sich nicht eines von beinah schon mütterlichem Entzücken geschwängerten Seufzers enthalten.
    »Harry! Schau doch mal!«
    »Was denn?«
    »Das kleine Mädchen da – hast du ihr Gesicht gesehen?«
    »Ja, wieso?«
    »So rot wie eine Erdbeere. War sie nicht süß, die Kleine?«
    »Aber dein Gesicht ist ja fast schon genauso rot! Hier sind eben alle Leute gesund. Sobald wir laufen können, sind wir draußen in der Kälte. Ein wundervolles Klima!«
    Sie sah ihn an und musste ihm zustimmen. Er sah enorm gesund aus und sein Bruder ebenfalls. Und heute Morgen erst war ihr das ungewohnte Rot auf ihren eigenen Wangen aufgefallen.
    Plötzlich aber nahm etwas anderes ihrer beider Blick gefangen, wie auf Kommando starrten sie nach vorn zur Straßenecke. Denn dort stand ein Mann mit eingeknickten Knien und einer Miene, die so angespannt war, als sei er eben im Begriff, mit einem Satz hinaufzuspringen in den frostigen Himmel. Und da mussten sie auf einmal beide lauthals lachen, denn als sie näher kamen, sahen sie, dass das Ganze nur eine kurze, aber sehr lustige, durch die außerordentlich ausgebeulten Hosen des Mannes hervorgerufene

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