Wintertraum und Weihnachtskuss: Eine Liebesgeschichte in 24 Kapiteln (German Edition)
Großeltern in die eine und meine Großeltern in die andere Haushälfte einzogen, baute Opa Pitti seinen Hasenstall direkt auf die Grenze«, erklärte ich wütend. »Der blöde Hasenstall verschandelt unseren Garten. Er ist eine Beleidigung fürs Auge!«
Nell runzelte die Stirn. »Aber man sieht ihn doch gar nicht.«
»Klar sieht man ihn nicht. Mein Opa hat nämlich Tannen auf die Grenze gesetzt. Als er sie pflanzte, waren sie schon anderthalb Meter hoch. Sie haben eine Menge Geld gekostet, aber das war’s ihm wert. Sie werfen nämlich ihren Schatten direkt auf Pittis Terrasse.«
»Das ist gemein.«
»Nö. Zuerst haben die Pittis den Hasenstall gebaut, mein Opa rächte sich mit den Tannen, dafür haben sich dann die Pittis gerächt, worauf sich mein Opa wieder rächen musste. So hat der Streit angefangen.«
»Ich finde das unmöglich!«, rief Nell empört.
»Ob du das unmöglich findest, tut nichts zur Sache. Der Streit ist unsere Angelegenheit, klar?«
»Wie lange geht das denn schon so?«
»Seit einem halben Jahrhundert!« Ich warf den Kopf zurück. »Daran ist nichts zu rütteln. Die Großväter waren verfeindet, die Väter erst recht, und wir sind’s natürlich auch. So ist das und so wird’s auch bleiben.«
»Kapier ich nicht.«
Da hatte ich aber die Nase voll! »Nell! Deine Meinung ist nicht gefragt! Du wohnst bei uns, alle Pittis sind unsere Feinde, also sind sie auch deine Feinde.«
Nell sagte nichts. Ich sah aber ganz genau, dass sie nicht einverstanden war, deshalb setzte ich noch eins drauf. »Ein bisschen bei uns wohnen geht nicht. Dein Einzug ist eine All-inclusive-Angelegenheit.«
»So?«, entgegnete sie spitz. »Gilt das auch für dich?«
Ich stutzte. »Wie meinst du das?«
»Glaubst du etwa, ich sei gern aus meiner alten Wohnung ausgezogen? Da hatte ich ein Zimmer und meinen Vater für mich! Damals war das alles meine eigene All-inclusive-Angelegenheit, damals konnte ich bestimmen, wo es langging.«
Ich war echt erschüttert. »So hab ich das noch nie gesehen.«
»Eben! Du denkst ja nur an dich und dass du dein kostbares halbes Zimmer abgeben musstest, du armes Kind!«
An der Kreuzung Buchen-/Lindenstraße befand sich Pittis Obst- und Gemüsehandlung. Wie immer wechselte ich die Straßenseite; aus Prinzip ersparte ich mir den Anblick der feindlichen Birnen und Kohlköpfe. Am Zebrastreifen überquerte ich die Straße erneut und ging das letzte Stück wieder neben Nell. Als wir vor unserem Haus standen und ich schon aufschließen wollte, marschierte sie um die Ecke und durch den Garten bis ganz nach hinten. »Was hast du vor?«, rief ich und folgte ihr neugierig.
»Sieh mal«, sagte sie und deutete auf die Tannen. »Wenn die nicht wären, könntest du direkt auf Matteos Terrasse sehen.«
»Warum sollte ich auf die Terrasse meines Feindes sehen wollen?«
»Du magst ihn doch«, sagte Nell cool.
»Waaas? Spinnst du? Wer sagt das?«
»Ich. Ich hab nämlich gesehen, wie du rot geworden bist, als du ihm gegenübergestanden bist.«
»Ich bin nicht rot geworden! Und wenn doch, dann nur, weil ich wütend war!«
»Na ja … Du Holly, wenn die Bäume und der Zaun nicht wären, wäre der Garten echt groß.«
»Quatsch.« Wer will schon einen großen Garten, dachte ich verächtlich und ließ Nell einfach stehen.
Später wärmten wir den Würstcheneintopf auf. Die Küche mit dem Tisch, an dem wir essen, und das Wohnzimmer mit dem Fernseher lagen im Erdgeschoss. Im ersten Stock befanden sich das Bad und Bienes Schlafzimmer, in dem sie jetzt nicht mehr mit mir, sondern mit Otto kuschelt. Unterm Dach waren dann noch zwei kleine Zimmer. Eines bewohnten Nell und ich, das andere war die Werkstatt, in der Biene alle Dinge zwischenlagerte, die sie mal für eine Schaufensterdeko brauchen könnte. Aus ihrem Vorrat bediente ich mich, wenn ich einem neuen T-Shirt oder einer Jeans meinen Stempel aufdrücken wollte. Ich war berühmt für meine Kreativität; mir machte es großen Spaß, langweilige Dinge aufzupeppen oder zu verändern. Nun stand zwischen Bienes Schachteln und Plastiktüten Ottos PC. Es sei der Familien-PC, hatte er gesagt, als er ihn anschleppte.
Nach dem Essen gingen wir in unser Zimmer, in dem jetzt zwei Betten und zwei Schreibtische standen. Nell machte sich sofort an die Hausaufgaben. Wie immer trödelte ich herum, aber schließlich holte ich doch die Hefte und Bücher und das Mäppchen aus dem Rucksack. Mein Mäppchen hatte einen Bauch; es sah so komisch aus, dass ich sofort den
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