Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Hausangestellten hatten sich vor der großen verrußten Feuerstelle in der Küche zusammengefunden um alle vergangenen Ereignisse und Neuigkeiten auszutauschen. Nicht einmal Anne suchte an diesem Abend vorzeitig ihr Bett auf. Immer wieder tat sie ihren Ärger über den Plätzchen fressenden Kater kund, der ihrer Meinung nach ohnehin schon viel zu fett war. Arrow kicherte bei diesen Worten nur still in sich hinein.
Anne war die gute Seele des Hauses und ihr Wort wurde stets befolgt, an jedem Tag des Jahres und zu jeder Gelegenheit. Doch wie es in allen anderen Bereichen des Lebens nun einmal Ausnahmen gab, bestätigten diese auch hier die Regel und das betraf eben Annes Weihnachtsplätzchen. Den ganzen Abend bekam Arrow unter dem Tisch von Melchior und Dewayne welche gereicht und verspürte dabei nicht den Hauch eines schlechten Gewissens. Genüsslich ließ sie sich die kleinen Wunder auf der Zunge zergehen, während die Männer nebenbei über alles schwärmten, was sie auf ihren Reisen gesehen, verzehrt und erlebt haben. Außerdem diskutierten sie noch über Politik – zu Arrows Erstaunen ein Thema, bei dem sogar Anne mitreden konnte. Für Arrow war es allerdings viel zu schwere Kost und so bekam sie auch nicht mehr mit, wann sie am Tisch eingeschlafen oder wie sie überhaupt in ihr Bett gekommen war.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, fielen bereits prickelnde Sonnenstrahlen durch die Fenster. Arrow schreckte auf. Im Winter konnte das nur bedeuten, dass es schon spät am Morgen sein musste. Eilig schwang sie die Bettdecke zur Seite und vernahm ein dumpfes Geräusch.
Die kleine Schachtel, die sie auf der Suche nach ihrem Vater am Vorabend gefunden hatte, lag neben ihrem Bett. Scheinbar hatte das Geschenk ebenso den Weg zurück in Arrows Zimmer gefunden, wie sie selbst. In all der Aufregung hatte sie völlig vergessen, es zu öffnen.
Vorsichtig zog Arrow an der kleinen Schleife und nahm den Deckel ab. Zwei kleine Haarspangen in der Form von funkelnden weißen Eiskristallen kamen darunter zum Vorschein. Arrow fand die kleinen Kostbarkeiten viel zu schön für den Alltag und legte sie in eine Schatulle, die vor lauter Schätzen beinah überquoll.
Eilig machte sie sich zurecht und lief hinunter. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass sie kein Nachzügler war. Melchior und Dewayne mussten sich von ihrer Reise und dem langen Abend erholen und so wurden auch die nicht im Hause untergebrachten Angestellten erst zu späterer Stunde bestellt. Da auch der kommende Abend nicht so schnell enden würde, schien das nur angemessen zu sein, denn Melchior hatte alle Freunde zu einem festlichen Essen eingeladen.
Da die Zeit drängte, musste auf ein ausgiebiges Frühstück verzichtet werden und so schnappte sich jeder im Vorbeigehen eine Kleinigkeit für unterwegs.
Anne bereitete in der Küche alles zum Backen vor, während sich ein halbes Duzend weiterer Leute mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigte.
Wie immer schien diese Frau vor Energie zu strotzen. Niemand war an diesem Morgen so ausgeschlafen und flink wie sie. Oft schon hatte Arrow sich gefragt, wie alt Anne wohl sein mochte. Stellte man ihr gezielte Fragen zu ihrem Alter, so antwortete Anne immer nur knapp “neunundsiebzig”. Aber diese Auskunft hatte sie auch schon vor zehn Jahren, weshalb Arrow den Wahrheitsgehalt dieser Information stark anzweifelte.
Gemessen an den tiefen Falten in ihrem Gesicht und der Weisheit, mit der sie stets sprach, würde Arrow ihr die neunundsiebzig Jahre vermutlich abnehmen. Doch das alles passte einfach nicht mit ihrer Ausdauer und ihremDurchsetzungsvermögen zusammen. Zweifellos hatten die Jahre gewisse Spuren bei ihr hinterlassen, trotzdem hatte man nicht unbedingt den Eindruck, eine Alte Frau vor sich zu haben, was nicht zuletzt an ihrer Ausstrahlung liegen mochte. So viel Güte, Härte, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit in einer solch kleinen Person konnte gar nicht unbemerkt bleiben.
Voller Vorfreude auf die allseits beliebten Plätzchen hatte Arrow sich zusammen mit ihrem Vater und Dewayne auf den Weg ins Dorf gemacht. An Weihnachten war es bei ihnen Brauch, von Tür zu Tür zu gehen, nach den Leuten zu schauen und nützliche Dinge, die im Haushalt fehlten, zurückzulassen. Es gehörte einfach zum Zauber der Weihnacht, wenn man etwas geben konnte und ein dankbares Gesicht zurückbekam.
Als Arrow, Melchior und Dewayne wieder daheim waren, mussten sie sich beeilen, denn die Abenddämmerung ließ bereits die ersten
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