Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
unbeeindruckt.
Doch Arrow machte keine Anstalten, den Spaziergang fortzusetzen. Einsamkeit breitete sich in ihr aus. Offenbar führte hier jeder sein eigenes Leben mit eigenen Gefühlen und Erfahrungen. Ein Leben, an dem sie bisher nicht beteiligt war und es vielleicht niemals sein würde. Und plötzlich dachte sie wieder an ihre Freunde in Elm Tree.
„Sie hat geweint, Dewayne“, sagte sie mitfühlend.
Ohne Arrow in die Augen zu sehen antwortete er: „Ich weiß.“
„Sie fühlt sich allein. Ich habe es gesehen. Du musst zu ihr gehen.“
„Arrow, es gibt Dinge, die du nicht verstehst.“
„Ach ja? Das kann gut sein. Aber ich weiß, dass du das da verstanden hast. Ich bin nicht blind, Dewayne. Also geh und rede mit ihr.“
„Unser Gespräch ...“
„... kann warten“, beendete sie forsch den Satz. „Also was ist nun? Gehst du zu ihr? Wenn nicht, werde ich es tun.“
Nach einem kurzen Zögern verschwand Dewayne im dunklen Wald. „Neve!“, hörte sie ihn noch einige Male rufen, bevor sich seine Stimme in der Musik verlor.
Erst jetzt bemerkte sie, wie unheimlich es um sie herum war. Zwar konnte sie nicht behaupten, dass Dewayne sie allein im Wald zurück gelassen hatte, trotzdem wirkte er unwesentlich tröstlicher als die Zwergenstadt. Viele Blicke waren auf sie gerichtet. Hinter jedem Baum lugten starre Gestalten hervor.
Etwas bewegte sich zwischen den Ästen. Es kam immer näher und erhellte mit seinem gleißendem Licht mehr und mehr den Wald.
Erleichtert stellte Arrow fest, dass sie von alten Freunden heimgesucht wurde. Im Mondlicht strahlten sie um ein Vielfaches heller als am Tage. Aus Silhouetten waren deutlich erkennbare Gestalten geworden, die noch immer aus funkelndem Licht bestanden.
Lächelnd reichten die Sylphen Arrow die Hand und zogen sie mit sich. Für den Moment verschwanden die trüben Gedanken.
Auf weichem Moos gebettet erwachte Arrow am Morgen. Vögel zwitscherten in den Bäumen. Die dicken Nebelschwaden, die gelegentlich Sonnenstrahlen auf den Boden fallen ließen, verzauberten den Wald.
Ihr erster Blick fiel auf ihre Hand. Vorsichtig öffnete sie sie und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass die kleine Blume noch immer da war – genauso strahlend wie am Abend zuvor und unversehrt. Achte gut auf sie, hatten Dewayne und Melchior gesagt, und so war sie die ganze Nacht darauf bedacht gewesen, die zerbrechliche Pflanze zu schützen.
Wenn es stimmte, war sie ein Schatz, doch auch ohne mysteriöse Kräfte wäre sie für Arrow wertvoll gewesen, denn es war das erste Geschenk ihres Vaters, das sie in dieser Welt von ihm bekommen hatte. Genauso verhielt es sich damals mit dem Medaillon. Arrow besaß es, seit sie denken konnte, und auch wenn es zu einer Zeit der Unwissenheit im Grunde nichts anderes war als ein Schmuckstück, so hat es ihr immer weitaus mehr bedeutet. Es war, als trüge sie ein Stück ihres Vaters bei sich, und es war nicht nur geschenktes Metall. Es war ein Stück seines Herzens, seiner Liebe und seines Vertrauens. Genauso verhielt es sich mit der kleinen Blume, nur das diese zweifellos weniger robust war.
Am längsten würde sie sich halten, wenn Arrow sie an einem sicheren Ort in einer Schachtel verwahrte – in ihrem Zimmer zum Beispiel. Doch es wäre nicht dasselbe. Sie bräuchte sie bei sich zu jeder Zeit, wohin sie auch ging. Es gab ihr ein gewisses Maß an Geborgenheit.
Nach langem überlegen kam ihr eine Idee. „Ich tue sie in das Medaillon!“
Angestrengt überlegte Arrow, wo sie es zuletzt hingetan hatte. Kurz überfiel sie die Angst, es in der Menschenwelt zurückgelassen zu haben, doch dann fiel es ihr wieder ein. Nachdem sie den leuchtenden Funken daraus befreit hatte, hatte sie es in die Tasche ihres Wintermantels gleiten lassen. Den Mantel hatte sie bei ihrer Ankunft abgelegt. Jetzt ärgerte sie sich, nicht besser auf ihre Sachen geachtet zu haben.
Voller Hoffnung, dass er noch nicht verschwunden war, lief sie über die Wiesen zurück an den Ort, von dem sie und ihr Vater vor einigen Tagen gekommen waren.
An der Treppe wurde der Nebel immer dichter. Je höher es ging, desto langsamer wurde Arrow, denn ihre Füße waren schon nicht mehr zu erkennen und die Stufen genauso wenig.
Oben angelangt, tastete sie vorsichtig das steinerne Geländer ab und da war er, der Mantel. Mit einem Griff in die Tasche hielt Arrow auch ihr Medaillon wieder in den Händen. Geschwind ließ sie die kleine Blume darin verschwinden und band es sich um den
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