Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Federdecke hatte schön warm gehalten, doch das Haus war inzwischen ausgekühlt.
Hastig streifte sie sich dicke Socken und einen schweren Mantel über, entzündete eine Laterne und schlich dann leise durch das Haus, um die Kamine einzuheizen.
Danach begab sie sich in ihre Werkstatt, die sich im obersten Geschoss unter dem Dach befand. Dort glühte die Kaminasche noch immer, denn vor wenigen Stunden erst hatte sie diesen Raum verlassen, um sich schlafen zu legen.
Kaum, dass sie den Kamin wieder eingeheizt hatte, erschien auch schon Marb. Wie immer saß sie gemütlich auf den flammenden Holzscheiten und schaute Arrow mit ihren dunklen Knopfaugen beruhigend an. Lange schon war das Moosweiblein keine Fremde mehr in diesem Haus. Ihre Gegenwart wirkte auf Arrow äußerst angenehm, und obwohl Marb noch nie ein einziges Wort gesagt oder auch nur mit der Wimper gezuckt hatte, schätzte Arrow ihre Anwesenheit in höchstem Maße. Das war nicht immer so gewesen. Ihre erste Begegnung mit der kleinen Frau hatte in ihr großes Unbehagen ausgelöst. Mit ihrer kartoffelfarbenen Haut, dem zerzausten Haar und dem Mooskleid hatte Marb nicht unbedingt eine besonders freundliche Erscheinung. Auch die Tatsache, dass sie immer sofort aufgetaucht war, sobald Arrow ein Feuer entzündet hatte, behagte ihr ganz und gar nicht – und dass sie, mitten in den Flammen sitzend, nicht selber Feuer fing, beunruhigte sie am meisten.
Da jedoch die einzige Alternative gewesen wäre, zu frieren – so ganz ohne Feuer – und Marb ohnehin nichts Anderes tat, als einfach nur da zu sein, hatte Arrow sich irgendwann mit dem Gedanken angefreundet, sie um sich zu haben. Die Sache hatte ja auch etwas Gutes – sie war nicht allein und musste sich trotzdem nicht krampfhaft um Gesprächsstoff bemühen. Vor allem bei der Arbeit in ihrer Werkstatt war dies ein überaus angenehmes Gefühl.
Arrow liebte dieses Zimmer. Es war das einzige in diesem Stockwerk. Von dort aus konnte sie das ganze Dorf beobachten, wurde dabei jedoch kaum selbst bemerkt. Mit einem kurzen Blick durch das Fenster sah sie nach, ob sie als Einzige schon auf den Beinen war. Tatsächlich brannte nirgendwo sonst ein Licht. Sogar der alte Bäcker gegenüber schien noch zu schlafen, was schon sehr ungewöhnlich war, denn er war sonst immer der Erste, der sich am Morgen an die Arbeit machte. Dass es an diesem Tag anders war, störte Arrow jedoch nicht.
Sie liebte die einsame Stille um sich herum. Zwar war es nicht so, dass sie die Gesellschaft anderer nicht mochte, doch der Reitunfall hatte sie scheu gemacht. Bei diesem Vorfall hatte sie ihr Gedächtnis verloren und jeder Versuch, auch nur die kleinste Erinnerung herbeizurufen, scheiterte kläglich. Nicht das Geringste kam ihr danach vertraut vor – kein Gesicht, keine Stimme, kein Geschmack und auch kein Geruch.
Großmutter Rose erzählte oft, dass sie vorher ganz anders gewesen war, viel aufgeschlossener und lebendiger. Je öfter Arrow dies hörte, desto mehr zog sie sich von allem zurück.
Viele Freunde hatte sie nicht, denn sie mied es, Freundschaften zu knüpfen. Zwar war sie überall gern gesehen, doch der Gedanke an den Gedächtnisverlust wurde zu ihrem ständigen Begleiter, der sich wie ein Schatten an sie heftete. Sie fühlte sich verloren und wusste nicht, wohin sie gehörte.
Eine Weile beobachtete Arrow melancholisch, wie draußen die dicken Flocken stumm zur Erde fielen. Seit dem Abend hatte es wenigstens einen Meter Neuschnee gegeben, was jedoch nicht verblüffte, wenn man bedachte, dass es seit Jahren nichts anderes als Frost und Schnee gegeben hatte. Einen Meter konnte man hier verkraften.
Um die trüben Gedanken loszuwerden, machte Arrow sich an die Arbeit. Ganz allein konnte sie sie jedoch nicht bewältigen und so mussten zuerst die kleinen Helfer geweckt und versorgt werden. Eine kleine Handvoll Grünzeug in jeder Laterne ließ die Werkstatt zum Leben erwecken. Das Leuchten der kleinen Glühwürmchen signalisierte ihre Zufriedenheit und flutete den ganzen Raum mit Licht.
Arrow setzte sich an ihren Tisch und begann, die Krüge, die sie erst vor wenigen Stunden hergestellt hatte, zu bemalen. Im ganzen Haus gab es unzählige Gefäße, auf denen verträumte Winterlandschaften abgebildet waren. Andere Motive fand man weniger, denn der Winter war alles, was Arrow kannte.
Als sie damals damit angefangen hatte, bezog sie die Gefäße noch vom örtlichen Töpfer, doch als der mit ihren Bestellungen nicht mehr hinterherkam, stellte
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