Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
trostlos.
„Dies ist der Speisesaal. Hier kannst du beginnen, und wenn du fertig bist, kannst du im Raum nebenan weiterarbeiten. Genaue Vorstellungen habe ich nicht. In der Hauptsache sollte es bunt sein. Schwarz so wenig wie möglich – denn das sind die Räume ja schon – und weiß bitte ebenso wenig. Immerhin ist es draußen weiß genug.“
Arrow runzelte die Stirn. Anfangs verstand sie Sally nicht, doch dann dämmerte es ihr. „Ich soll die Wände bemalen?“, fragte sie ungläubig.
Sally nickte lächelnd.
„Aber ich bemale nur Geschirr – Krüge und gelegentlich auch Teller. Wände habe ich noch nie bemalt.“
„Oh, dann wird das ja eine richtige Premiere. Wie mutig von dir, dass du es trotzdem versuchen willst. Also breite dich in aller Ruhe aus, und wenn du Hilfe benötigst, dann melde dich einfach. Du weißt ja, wo ich zu finden bin.“
Flink verschwand Sally zur Tür hinaus und ließ eine zweifelnde Arrow zurück.
Während sie alles aufbaute, fragte sie sich die ganze Zeit, wie sie aus dieser Nummer wieder rauskommen konnte. Doch sie wusste es nicht, und bevor sie sich versah, dachte sie auch schon darüber nach, wo und womit sie anfangen sollte.
Die Wände waren voller Ruß. Es war unmöglich, etwas Vernünftiges auf solch einem Untergrund auch nur im Ansatz zustande zu bringen. Bevor Arrow also mit dem Malen beginnen konnte, mussten die Wände gewaschen werden.
Nachdem sie den Kamin eingeheizt hatte, befreite sie die erste Fläche von dem schwarzen Staub. Bunte Farbkleckse kamen darunter zum Vorschein. Auf den ersten Blick wirkte es, als hätte jemand einen Tuschkasten darüber geschüttet, doch Arrow wurde neugierig. Vorsichtig wusch sie an der nächsten Stelle, und was sie sah, war mehr als verblüffend. Jemand hatte die Wände dieses trostlosen Schlosses schon einmal bemalt, doch es musste eine Ewigkeit her sein. Sally hatte es sicher vergessen. Gerne hätte Arrow sie gesucht, um die Erinnerung wachzurufen, doch die Neugier auf das gesamte Kunstwerk war stärker.
Während Arrow arbeitete, vergaß sie völlig die Zeit. Als die erste Wand vom Ruß befreit war, dämmerte es schon, doch es hatte sich gelohnt.
Das Bild stellte einen Festsaal dar. Die Wände und der Boden strahlten in hellem Marmor. Durch den gesamten Raum rankten Rosen und durch die riesigen Fenster fluteten Sonnenstrahlen. Und die Leute in dem Saal sahen glücklich aus. Sie tanzten, lachten und schienen nicht an ein Morgen zu denken.
Das Bild zeigte einen Moment, wie Arrow ihn nie erlebt hatte. In ihrer Welt versuchte jeder, über die Runden zu kommen. Seit der Ewige Winter ausgebrochen war, wurde das Feuerholz immer knapper. Der Boden war an vielen Stellen so gefroren, dass neue Bäume und Pflanzen nicht wachsen konnten. Damit wurde auch die Nahrung immer knapper. Den Leuten im Bergdorf ging es bisher den Umständen entsprechend gut, doch wie lange würde das noch so bleiben? Die Armut und die Verzweiflung wurden immer greifbarer.
Gewächshäuser wie die von Rose fanden sich inzwischen schon überall, doch war es mit der Zeit unmöglich geworden, den Bedarf zu decken, zumal in ihnen auch lange nicht alle Pflanzen so gut gediehen wie in dem der Großmutter.
Arrow wusste nicht, ob sie das Bild mögen sollte oder nicht, denn so traurig und nachdenklich sie diese Darstellung auch stimmte, so glücklich machte sie sie auch. Im Detail war es einfach wunderschön und vom Stil her musste es sehr alt sein.
Als Arrow alles aufgeräumt hatte, machte sie sich auf den Heimweg. Im Schloss suchte sie vergeblich nach Sally und auch Harold lief ihr glücklicherweise nicht über den Weg.
Als sie mit Merlin nach Hause ritt, war es bereits dunkel und Greys Rufe verrieten ihr, dass Rose schon mit dem Abendessen wartete.
Begeistert schwärmte Arrow ihr von der Entdeckung vor, indem sie ihr das Bild bis ins kleinste Detail beschrieb. Ihre Großmutter war sehr glücklich darüber – wurde doch der erste Tag statt zu einer gefürchteten Katastrophe zu einem großen Erfolg
Bilder der Vergangenheit
Als Arrow am nächsten Tag im Schloss eintraf, fand sie Sally im Speisesaal beim Betrachten des Bildes. Stumm starrte sie es an und Arrow hätte meinen können, so etwas wie Sehnsucht in ihren Augen erkannt zu haben. Sally bemerkte nicht einmal, dass Arrow hinter ihr stand, so vertieft war sie in die Malerei.
„Hallo, Sally“, begrüßte sie sie.
Erschrocken drehte sich die Köchin um. „Oh ... Hallo, mein Kind“, erwiderte sie
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