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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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mit ruhiger Stimme hinter ihm.
    Taim hielt inne, halb draußen in der Nacht und ihrer scharfen Luft, und warf einen Blick über die Schulter zurück. Gryvan betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen.
    »Wie viele Männer kehren mit Euch nach Anduran zurück?«
    »Achthundert, einschließlich derer, die vielleicht noch auf dem Rückmarsch sterben«, murmelte Taim mit ausdrucksloser Stimme.
    Gryvan nickte nachdenklich, ohne den Blick von Taim abzuwenden.
    »Richtet Croesan aus, dass ich gefragt habe, ja?« Das war alles, was er sagte.
    II
    Als der Kiel schließlich gegen Felsen schürfte und das Boot mit einem Ruck anhielt, konnte Orisian sich nicht mehr aufrichten. Das blutgetränkte Hemd klebte ihm auf der Haut. Seine Schläfen pochten, als säße das Herz dort oben und nicht in der Brust, und wenn er durchzuatmen versuchte, jagten ihm Schmerzsplitter durch den Körper. Er hustete unter Qualen und spürte das Blubbern einer zähen Flüssigkeit in den Lungen. Dann hörte er Rothe aus dem Boot springen. Seine Stiefel knirschten über einen steinigen Strand.
    »Wir müssen weg vom Ufer«, sagte Rothe.
    Orisian wollte sagen, dass er sich nicht bewegen könne, brachte aber nur ein undeutliches Murmeln über die rissigen Lippen. Er versuchte sie mit der Zunge anzufeuchten, merkte aber, dass sie ebenfalls trocken war. Dann legte ihm Rothe einen Arm um die Hüften und hob ihn aus dem Kahn. Orisian stieß einen Schmerzensschrei aus.
    »Verzeiht!«, raunte Rothe.
    Orisian erkannte nur verschwommene Flecken, die bei jedem Herzschlag am Rand seines Sichtfelds auftauchten und wieder verschwanden.
    »Ich sehe nichts«, krächzte er in das Dunkel.
    Rothe gab keine Antwort. Sie bewegten sich, aber das war alles, was Orisian wahrnahm. Seine Seite war heiß und feucht, aber in seine Finger kroch eine betäubende Kälte.
    »Verlasst mich nicht!«, hörte er jemanden in weiter Ferne verzweifelt rufen. »Verlasst mich nicht, Orisian!«
    Dann lag er auf einer weichen, nachgebenden Fläche. Einen Augenblick lang war seine Sicht klar. Bäume wölbten sich über ihm, beugten sich aus der Nacht, als wollten sie ihm mit ausgestreckten Zweigen über das Gesicht streichen. Er hätte sich abgewandt, wäre er nicht so kraftlos gewesen. Dann drang ihm ein seltsam rauer Laut ans Ohr. Es dauerte eine Weile, bis er sich erinnerte, dass er das Bellen eines Fuchses hörte.
    »Ein Fuchs«, murmelte er und hätte am liebsten losgelacht.
    Ein Umriss wuchs aus dem Dunkel. Es war Rothe, der sich über ihn beugte.
    »Was?«, fragte der Leibwächter.
    Gleich darauf tat er einen Satz zur Seite. Orisian vernahm ein Keuchen, ein Seufzen, als fahre ein Windhauch durch hohes Gras, und spürte den harten Aufprall von etwas Schwerem, das zu Boden fiel. Gestalten sprangen über ihn hinweg, fahle Silhouetten, die von der Erde losgelöst schienen. Geister, dachte er.
    Das Letzte, was er spürte, ehe er in Ohnmacht fiel, waren viele Hände, die ihn packten und aufhoben.

    Das Fieber hatte dunkle Ecken in Anyaras Bewusstsein hinterlassen. Jetzt, fünf Jahre später, war die Erinnerung an die sinnestäuschenden Träume ihres Krankenlagers nicht mehr so stark wie in den ersten Wochen nach ihrer Genesung. Dennoch wurde sie manchmal am späten Abend von einer plötzlichen Furcht vor dem Einschlafen gepackt – der Furcht, nicht mehr zu erwachen, sich für immer in jenem wilden Grenzland des Todes zu verirren, in dem alle Träume Schreckensvisionen waren. Aber nie war ihr der Gedanke gekommen, dass die Bilder des Fieberwahns sie aus jenem Schattenreich in die Welt des Wachens verfolgen könnten. In der Nacht der Winterwende lauerten sie überall.
    Sie stürzte, als Kylane sie durch das offene Portal des Wohnturms stieß. Als sie wieder auf die Beine kam, sah sie gerade noch, wie er sich zwischen Orisian und die Inkallim warf – und wie er enthauptet wurde. Ein erstickter Schrei entrang sich ihrer Kehle. Dann riss sie ein stämmiger Kaufmann vom Eingang weg. Er schlug die Torflügel zu und verrammelte sie mit einer schweren Querstange. Schreie und Waffengeklirr drangen durch das Holz.
    »Fort von hier!«, schrie der Kaufmann. »Wir müssen uns verstecken!«
    Einige verängstigte Bürger – alle jene, die sich gerade in der Nähe des Eingangs aufgehalten hatten – drängten sich am Fuß des Treppenschachts zusammen. Der Kaufmann wandte sich ihnen zu und scheuchte sie mit ausgebreiteten Armen vor sich her wie eine Schafherde.
    »Nach oben!«, rief er.
    Sie stolperten die

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