Winterwunder
Hol Carter.« Damit klappte er das Telefon wieder zu.
Er trug immer noch seinen Anzug, bemerkte Mal, und obwohl er die Krawatte abgenommen und den Kragen gelockert hatte, war er immer noch jeder Zoll der in Yale ausgebildete Anwalt. In seinen Farben glich er seiner Schwester – er hatte das gleiche dichte braune Haar und die gleichen blauen Augen. Ihre Gesichtszüge waren weicher, sanfter, doch jeder, der Augen im Kopf hatte, erkannte, dass sie Geschwister waren.
Del setzte sich und streckte die Beine von sich. Von seinem Wesen her war er lockerer und um Längen weniger kratzbürstig als seine Schwester, was vielleicht der Grund dafür war, dass sie zuerst Pokerkameraden und später Freunde geworden waren.
Sie ließen die Kronkorken knallen, und als Malcolm den ersten kühlen Schluck trank, entspannte er sich zum ersten Mal, seit er vor zwölf Stunden sein Werkzeug zur Hand genommen hatte.
»Was ist passiert?«, fragte Del.
»Womit?«
»Mach mir nichts vor, Mal. Reifenpanne, von wegen. Wenn Parker einen Platten gehabt hätte, dann hättest du ihr den Reifen gewechselt, oder sie hätte es selbst gemacht – und sie wäre nicht mit dir auf dem Motorrad heimgefahren.«
»Sie hatte einen Platten.« Malcolm trank noch einen Schluck Bier. »Genauer gesagt: sogar zwei. Die Reifen sind hinüber.« Er zuckte die Achseln. Einen Freund würde er nicht anlügen. »Nach dem, was sie gesagt hat, und so wie es aussah, als ich dort ankam, ist irgendein Idiot einen Schlenker gefahren, um einem Hund auszuweichen. Parker musste auf den Randstreifen brettern, um nicht erwischt zu werden. Nasse Straße, vielleicht ein bisschen übersteuert, sie ist selbst etwas ins Schleudern geraten und hat die beiden linken Reifen geliefert. Von den Reifenspuren her sah es für mich aus, als wäre der andere Fahrer gerast – Parker aber nicht. Und er ist einfach weitergefahren.«
»Er hat sie da stehen lassen?« Blanke Wut klang aus Dels Stimme und fegte wie ein Sturm über sein Gesicht. »Dreckskerl. Hat sie das Kennzeichen, den Wagentyp?«
»Gar nichts hat sie, und ich kann ihr keinen Vorwurf machen. Es muss mitten in dem kurzen Wolkenbruch passiert sein, so dass sie Mühe hatte, ihren Wagen unter Kontrolle zu halten. Ich würde sagen, das hat sie ziemlich gut gemacht. Sie ist nirgendwo gegen gefahren, nicht mal der Airbag ist aufgegangen. Sie war allerdings fix und fertig, und stinksauer dazu. Vor allem, weil sie dachte, sie käme zu spät zu ihrer Besprechung.«
»Aber unverletzt«, sagte Del mehr zu sich selbst. »Okay. Wo?«
»Ungefähr zwölf Kilometer von hier.«
»Warst du da draußen mit dem Motorrad unterwegs?«
»Nein.« Verdammtes Kreuzverhör. »Hör mal, meine Mutter hat den Anruf entgegengenommen und kam raus und sagte, jemand hat Parker von der Straße abgedrängt, und sie sitzt fest. Also bin ich hingefahren, um nach ihr zu sehen, während meine Mutter Bill losgeschickt hat.«
»Ich bin dir echt dankbar, Mal.« Del hob den Blick, als Mrs Grady herauskam, um eine Schüssel mit Knabbergebäck und einen Teller mit Oliven auf den Tisch zu stellen.
»Damit könnt ihr das Bier ein bisschen aufsaugen. Eure Freunde rücken an.« Mit einem Nicken deutete sie über den Rasen, während flackernd die Dämmerlampe aufleuchtete.
»Du.« Sie piekte Malcolm in die Schulter. »Ein Bier kannst du noch trinken, weil wir uns erst in frühestens einer Stunde zum Essen setzen. Aber das war’s dann, jedenfalls bis du diese Monstermaschine wieder bei dir zu Hause geparkt hast.«
»Sie und ich könnten erst noch zusammen tanzen gehen.«
»Vorsicht.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich kann mich noch ganz gut bewegen.«
Damit kehrte sie ins Haus zurück und ließ einen grinsenden Malcolm zurück. »Das glaube ich gern.« Zur Begrüßung prostete er Jack und Carter mit seinem Bier zu.
»Genau was der Arzt verordnet hat.« Jack Cooke, Sonnyboy, Architekt und Dels Kumpel aus Collegezeiten, machte sich ein Bier auf. Die robusten Stiefel und die Jeans, die er trug, zeigten Mal, dass Jack heute eher Ortstermine auf Baustellen als Büroarbeit absolviert hatte.
Ein krasser Gegensatz zu Carters Oxfordhemd und Khakihose. Beim Anblick von Carters Lesebrille, die aus seiner Hemdtasche ragte, stellte Malcolm sich vor, wie er in seinem neuen Arbeitzimmer saß und Arbeiten benotete, während sein Professor-Maguire-Tweedjackett ordentlich im Wandschrank hing.
Sie waren schon ein bunt zusammengewürfelter Haufen – Del in seinem italienischen Anzug, Jack in
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