Winterwunder
dabei.«
»Zum Sonntagsessen.« Parker lächelte. »Hast du etwa Angst?«
»Angst ist ein starkes Wort. Betrachte dich als eingeladen, und wir schauen mal, wann es passt. Hast du schon mal hier gegessen?«
»Hm-hm. Die Ofenkartoffeln sind so groß wie ein Football. Ich glaube, ich nehme eine.« Parker legte die Speisekarte beiseite. »Wusstest du, dass deine Mutter ab und zu für meine gearbeitet hat, als Aushilfe auf Partys?«
»Ja, das wusste ich.« Malcolm kniff die Augen zusammen und sah sie prüfend an. »Denkst du, damit hätte ich ein Problem?«
»Nein. Nein, das glaube ich nicht. Für manche Leute wäre es wohl eins, aber zu denen gehörst du nicht. So habe ich das aber nicht gemeint. Mir fiel nur gerade auf …«
»Was?«
»Dass es da eine Verbindung gab, früher, als wir noch Kinder waren.«
Der Kellner brachte ihre Getränke, nahm die Bestellung auf.
»Ich habe für deine Mutter mal einen Reifen gewechselt.«
Parker spürte, wie ihr Herz sich ein wenig zusammenzog. »Wirklich?«
»In dem Frühjahr, bevor ich weggegangen bin. Ich glaube, sie war auf dem Heimweg vom Country Club oder so was.« Mal trank einen Schluck Bier, während er sich den Tag wieder ins Gedächtnis rief. »Sie hatte so ein Kleid an, so ein fließendes, bei dem die Männer sich wünschen, dass es nie wieder Winter wird. Es hatte ein Muster aus Rosenknospen, roten Rosenknospen.«
»Ich erinnere mich an das Kleid«, flüsterte Parker. »Ich sehe sie darin vor mir.«
»Sie hatte das Verdeck unten, ihr Haar war vom Wind zerzaust, und sie trug so eine riesige Sonnenbrille. Ich dachte, mein Gott, sie sieht aus wie ein Filmstar. Na ja, einen Platten hatte sie jedenfalls nicht. Nur ein kleines Loch, das sie dann erst bemerkt hatte. Deshalb ist sie stehen geblieben und hat die Werkstatt angerufen. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der aussah wie sie. So schön. Bis ich dir begegnet bin. Sie hat die ganze Zeit mit mir geredet. Wo ich zur Schule gehe, was ich gern mache. Als sie kapierte, dass ich Kay Kavanaughs Sohn war, hat sie nach ihr gefragt, wie es ihr ging. Sie hat mir zehn Dollar Trinkgeld gegeben und mir die Wange getätschelt. Und als sie davonfuhr, dachte ich, das weiß ich noch genau – das ist wahre Schönheit.«
Als er erneut sein Glas hob, fiel ihm Parkers Gesichtsausdruck auf. »Ich wollte dich nicht traurig machen.«
»Hast du auch nicht.« Obwohl ihre Augen brannten. »Du hast mir ein Stückchen von ihr geschenkt, das ich vorher nicht hatte. Manchmal vermisse ich meine Eltern so sehr, so schmerzlich, dass es ein Trost ist, diese Stückchen zu haben, diese kleinen Bilder. Jetzt kann ich sie in ihrem frühlingshaften Rosenknospenkleid vor mir sehen, wie sie mit dem Jungen plaudert, der ihr den Reifen wechselt, einem Jungen, der die Zeit überbrückte, bis er nach Kalifornien gehen konnte. Und ich kann sehen, wie sie ihn mit ihrer Schönheit geblendet hat.«
Auf dem Tisch legte sie eine Hand auf seine. »Erzähl mir von Kalifornien, davon, was du gemacht hast, als du dort ankamst.«
»Ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um dort anzukommen.«
»Erzähl mir davon.«
Parker erfuhr, dass Malcolm die meiste Zeit über in seinem Auto gelebt und Gelegenheitsjobs angenommen hatte, um Benzin, Essen und ab und zu ein Motelzimmer bezahlen zu können.
Wie er davon erzählte, klang es nach Spaß und Abenteuer, und beim Essen dachte sie, dass es beides gewesen war. Doch sie stellte sich auch vor, wie schwer, wie beängstigend es nur zu oft für einen Jungen in seinem Alter gewesen sein musste, von zu Hause fort zu sein und sich mit seinem gesunden Menschenverstand und dem, was er unterwegs durch die Jobs verdiente, irgendwie durchzuschlagen.
An einer Tankstelle in Pittsburgh hatte er Wagen betankt, in West Virginia bei irgendwelchen Renovierungsarbeiten geholfen, war dann nach Illinois weitergezogen, wo er außerhalb von Peoria als Automechaniker gejobbt hatte. Und so hatte er sich quer durchs Land gearbeitet, Gebiete kennengelernt, von denen Parker wusste, dass sie sie noch nie gesehen hatte und wahrscheinlich auch nie sehen würde.
»Hast du jemals daran gedacht, zurückzugehen? Einfach kehrtzumachen und nach Hause zu fahren?«
»Nein. Ich musste dorthin, wo ich hinwollte, tun, was ich tun wollte. Mit achtzehn kann man mit seinem Stolz und seinem Dickkopf lange durchhalten. Und mir gefiel es, auf eigenen Füßen zu stehen, ohne dass mich jemand ständig beobachtete und nur darauf wartete, zu sagen, ich wusste, dass du
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