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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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Sohn wieder aufgenommen.
    Zu seinem eigenen Erstaunen drängt es ihn, seit ihm dieses Glück zuteilgeworden ist, wieder nach Paris zurück. So schön der See glänzt, so herrlich der Schnee auf den Bergen leuchtet, so prächtig die Natur blüht, er muss noch seine Musikartikel fertigstellen. Danach will er endgültig nach Genf zurückkehren. Er wird dann eine Geschichte des Wallis schreiben. Und eine Geschichte der Republik Genf. Und eine Geschichte der Alpen. Jeden Tag wird er am See Enten und Schwäne füttern, ins Land hinausschweifen und mit den Bauern reden. Und alle werden ihn kennen.
    In der Tasche hat er ein Theaterstück, das er in Genf geschrieben hat. In Genf ist Theaterspielen verboten. Er muss es in Paris versuchen.

VIII
    A m Ostersonntag fährt vor dem Pariser Hotel, das Jean-Jacques und Thérèse seit ihrer Rückkehr als vorläufiges Domizil gedient hat, eine Kutsche vor, die sie mitsamt ihrem Hab und Gut aufs Land hinausbringt. Jean-Jacques will nicht mehr täglich durch Gassen spazieren müssen, in denen man jederzeit Leuten wie Holbach begegnen kann. Madame d’Epinay hat ihm draußen vor Paris, in der Nähe ihres Landguts, eine Eremitage eingerichtet, in der er walten und schalten kann, wie es ihm passt. Auf einem seiner Spaziergänge hat er das Gartenhäuschen selbst entdeckt und ihr so lange davon vorgeschwärmt, bis sie sagte: Ich lasse es für Sie renovieren. Früher hatte er gelegentlich ihren Salon besucht und sogar beinahe ein Verhältnis mit ihr. Weil sie aber fast keine Brust besitzt und ihm überhaupt viel zu dünn ist, war der ein wenig künstliche Wille, mit ihr zusammen zu sein, größer als sein wirkliches Verlangen. Außerdem hatte er Angst, sich bei ihr mit Syphilis anzustecken. Ihre vielen Liebhaber waren weit in der Welt herumgekommen. Inzwischen ist sie mit Grimm zusammen. Weil Grimm aber nicht weiß, wie wenig Jean-Jacques ihn mag, und Madame d’Epinay eine arglose Großzügigkeit besitzt, nimmt er ihr Angebot gern an.
    Seine Heul- und Hoffnungsanfälle ließ sie damals mit gefasstem Staunen über sich ergehen. Auch ihr hatte er ein paar Mal gedroht, ohne sie nicht mehr leben zu können, doch sie kannte das offenbar schon aus so manchen Geschichten und wäre vermutlich gekränkt gewesen, wenn er diese Anwandlungen ausgerechnet bei ihr nicht bekommen hätte. Thérèse ist nicht unfroh darüber, dass er diese Anfälle mit Madame d’Epinay bereits hinter sich hat und man ohne weitere Umstände in die Eremitage einziehen kann.
    Während der Fahrt zur Stadt hinaus dankt Jean-Jacques Gott dafür, dass man die falsche Pracht jener protzigen Kathedralen für immer hinter sich lässt, die nicht zum Ruhme des Herrn, sondern allein menschlicher Selbstherrlichkeit wegen erbaut wurden. Ein Erdbeben müsste das alles vernichten, damit hier wieder Felder und Äcker entstehen, erklärt er Thérèse und winkt den Bauern auf den Feldern zu, die sich, ihren verwirrten Blicken nach zu schließen, offenbar fragen, ob sie diesen Menschen kennen müssen.
    In den ersten Tagen ist das Leben in der Eremitage so still wie noch nie. Das Frühstück nimmt Jean-Jacques in der Laube ein, danach sitzt er am Schreibtisch, nach dem Mittagessen geht es über die Wiesen hinaus in die Wälder, abends kommt er mit Kräutern und Gräsern zurück.
    Am ersten Wochenende stehen Madame d’Epinay, Grimm und Diderot vor der Tür und zwingen die beiden zu einer Landpartie. Während man unter dem schönsten Sommerhimmel übers Land fährt, schaut Diderot kein einziges Mal auf die Felder hinaus und redet nur über Holbachs Pläne zu einem Buch über die Natur, mit dem er den ganzen Kosmos erklären und Gott endgültig aus dem Universum verabschieden will. Jean-Jacques sagt kein einziges Wort und denkt: Es ist absurd, dass ein Mann über die Natur schreiben will, der eine Eiche nicht von einer Pappel unterscheiden kann.
    Als sie durch ein Dorf kommen, in dem Kirmes gefeiert wird, beschließt Madame, dass man anhält. Grimm behauptet, dass Jahrmärkte ihn schwermütig machen, Diderot ist auch nicht begeistert, nur Jean-Jacques ist sofort dafür. Über die Straßen sind Blumengirlanden gespannt, auf den Häusern wehen Fahnen, unter den gestutzten Platanen, in denen Lampions hängen, wird Bier und Wein ausgeschenkt, der Geruch von gebratenen Würsten liegt in der Luft, auch geräucherte Fische werden angeboten, auf einem Podest spielen Musikanten zum Tanz auf.
    Madame d’Epinay genießt es, das Volk wie ihresgleichen zu

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