Wintzenried: Roman (German Edition)
auch, und die Rosenhecken kann ohnedies nur der Gärtner richtig stutzen. Überhaupt findet er, dass Jean-Jacques alles falsch macht, was er in die Hand nimmt. Sitzt er im Gartenstuhl, schüttelt der Gärtner über seine Faulenzerei den Kopf, versucht Jean-Jacques mitzuhelfen, ist es auch nicht recht.
Mama scheint es heimlich zu genießen, wie die beiden umeinander herumschleichen, als wollten sie sich immer ein wenig auf die Nerven gehen, ohne je miteinander zu streiten. Hat Mama bereits nachmittags ein paar Schlückchen von ihren selbstgemachten Likören getrunken, schaut sie ihnen manchmal vom oberen Fenster herab zu, mit einer Spur von Lächeln und offensichtlich zufrieden damit, dass die beiden ständig ein Auge aufeinander haben, aber gleichzeitig so tun, als wäre der andere gar nicht da.
Manchmal kommen Leute vorbei, die, wie einst Jean-Jacques auch, von einem Pfarrer an Mama verwiesen wurden. Mama schickt sie sofort weiter nach Turin, ins Hospiz zum Heiligen Geist. Jean-Jacques muss ihnen jedes Mal erzählen, wie schön es dort ist, und ihnen von den prächtigen Prozessionen und herrlichen Messen vorschwärmen. Er selbst ist der Einzige, den sie sich je aus Turin zurückgewünscht hat. Anders als der Gärtner, der hier für alles zu sorgen hat, darf Jean-Jacques einfach nur da sein. Weder ist er Gärtner noch Koch, noch Laufbursche, sondern einzig und allein Mamas Kleiner. Morgens geht er mit Mama manchmal auf den Markt und hilft ihr in der Küche, nach dem Mittagessen zieht es ihn bei schönem Wetter in die Berge hinaus, abends geht er in der Molkerei Milch holen, und später sitzt man zu dritt oder in größerer Gesellschaft zusammen, immer bei einem Schluck Wein, der ihn sofort erhitzt und müde macht zugleich.
So gehen die Tage dahin und die Wochen. Und weil der Gärtner nach einem Jahr immer noch sagt: Er arbeitet nichts!, glaubt Mama, aus ihrem Kleinen einen Pfarrer machen zu müssen. Fürs Praktische, denkt sie, taugt er nichts, und weil er gern Bücher liest, bleibt gar nicht viel anderes übrig.
Manchmal reißt er Mama einen Bissen Brot, kaum dass sie ihn zwischen den Lippen hat, aus dem Mund und schluckt ihn hastig selbst hinunter. Mehr Vereinigung, hat er das Gefühl, kann nicht sein. Alles andere würde er lieber mit sich allein machen.
Dass er sich in den Turiner Alleen hinter Bäumen versteckt, Frauen aufgelauert, seinen Mantel zurückgeschlagen und sie erschreckt hat, erzählt er Mama nicht. Jeden Abend hat er das getan, bis er eines Tages erwischt wurde. Dabei hätte er diesen Frauen überhaupt nichts getan. Nicht einmal anfassen hätte er sie wollen, ganz im Gegenteil. Er wollte sie nur schreien hören oder wegrennen sehen. So oft wie möglich.
Es nie so weit kommen zu lassen, von Frauen angefasst zu werden, denkt Jean-Jacques immer mehr, ist das Höchste. Am liebsten würde er ihnen jeden Gefallen tun, nur nicht den letzten.
Das Herumsitzen und Herumlungern muss jetzt aufhören, sagt Mama immer öfter. Vielleicht sagt sie es vor allem dem Gärtner zuliebe.
In Turin habe man ihm eine Laufbahn als Diplomat vorausgesagt, behauptet Jean-Jacques.
Mama ist es egal, ob er Pfarrer oder Diplomat werden will. Ohne Latein geht beides nicht. Und beim Organisten soll er den Blasebalg treten. So lernt er auch etwas von Musik verstehen. Wenn man eine so schöne Stimme hat, schadet das nichts.
Jean-Jacques könnte sich auch vorstellen, Komponist zu werden. Diplomat, Pfarrer und Komponist zugleich.
Der Domorganist sitzt sowieso alle paar Tage bei Mama in der Küche, zusammen mit dem Franziskanerprior. Auch deshalb schütteln die alten Weiber den Kopf.
Jean-Jacques’ Tag fängt jetzt immer mit einer Messe an, danach zwei, drei Stunden Latein, nach dem Mittagessen geht er mit dem Gärtner Kräuter sammeln, und wenn abends Gesellschaft im Haus ist, sitzt er immer öfter an Mamas Spinett und gibt manchmal sogar schon ein selbstgeschriebenes Couplet zum Besten.
Der Franziskanerprior will aus ihm einen Pfarrer, der Organist einen Organisten machen. Jean-Jacques denkt immer noch an eine Diplomatenlaufbahn. Genau genommen will er aber nur in Mamas Garten sitzen und nachts durch die Wand mitbekommen, wie der Gärtner und Mama zusammen stöhnen. Mama ist immer die Lautere, vom Gärtner hört man fast nichts. Jean-Jacques macht dabei immer solche einsamen Verrichtungen, wie der Pfarrer diese Dinge im Beichtstuhl nennt. Jedes Mal fragt er danach, wenn Jean-Jacques nicht von selbst damit anfängt.
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