Wintzenried: Roman (German Edition)
Änderungsvorschlägen entspricht. Nicht mehr der Misanthrop ist jetzt dem Spott ausgesetzt, sondern seine Peiniger. Der Menschenfeind ist von nun an der Lehrer der Menschheit, ihr Leitbild und Kraftquell.
XIV
T hérèse wird, als die Revolution vorbei ist, vergessen. Ihre Bittstellerei ging den Leuten sowieso auf die Nerven.
Mit jedem Jahr mehr lebt sie erbärmlicher dahin. Eines Tages verlangt der Stallknecht Geld von ihr, damit er bei ihr bleibt.
Manchmal kommen noch Fremde vorbei und wollen etwas über den berühmten Rousseau wissen. Meistens ist sie, wenn einer klopft, betrunken und die Küche voll leerer Schnapsflaschen. Viel erfährt man dann nicht von ihr.
Als sie dreiundzwanzig Jahre nach Jean-Jacques stirbt, begräbt man sie in dem Dorf, wo sie mit dem Stallknecht zusammengelebt hat. Einem Besucher hat sie einmal erklärt, Jean-Jacques liege in einem Teich irgendwo hier herum, weil er eine andere Religion gehabt habe. Ständig sei sie mit ihm auf der Flucht gewesen. Immer woandershin.
XV
W arum nur musste ich Schriftsteller werden? Ich hätte mir alles ersparen können, Paris, Diderot und diesen ganzen Ruhm, der nichts als Elend über mich gebracht hat. So lauten Jean-Jacques’ letzte Sätze, die er zu Papier gebracht hat. Wäre ich nur bei Mama geblieben, abseits der Welt, im schönen Savoyen, alles wäre anders gekommen. In ihrer Reichweite, ihrem Schatten, ihrer Obhut. Welch friedliche, köstliche Tage hätten wir gemeinsam verbracht. Die Stelle, an der sie mich zum ersten Mal angeschaut hat, müsste ein Wallfahrtsort werden, dem die Leute sich bloß noch auf Knien nähern dürfen. Ich hätte niemals nach Paris gehen dürfen. Wäre Wintzenried nicht gewesen, hätte ich niemals zur Feder greifen müssen. Süßes Dunkel der Unbekanntheit, dreißig Jahre lang warst du mein Glück, hätte ich dich doch nie verlassen. Ohne Wintzenried wäre alles gut gewesen.
Weitere Kostenlose Bücher