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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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Sie nur wünschen. Doch ich werde aufhören, Sie zu verfolgen, wenn Sie damit aufhören, Ihren Ruhm im Verfolgtwerden zu erblicken.
    Ihr guter Freund Friedrich.
    In London und Paris machte das Machwerk bereits die Runde. Jean-Jacques ist einer der Letzten, der es zu Gesicht bekommt. Inzwischen kann man es sogar schon in den Zeitungen lesen. Auf Französisch und Englisch. Wer dahintersteckt, muss man sich nicht fragen. Voltaire. Holbach. Hume selbst. Ein Netz, das sich über ganz Europa spannt.
    Dass Hume ihm auf schnellstem Weg in einem Brief meint beteuern zu müssen, nicht das Geringste damit zu tun zu haben, sagt alles. Dass er als dessen Verfasser auch noch einen Namen nennt, von dem Jean-Jacques noch nie etwas gehört hat, zeigt nur, dass er dümmer ist, als man glauben möchte. Als ließe sich das alles auf eine literarische Klatschtante und Gesellschaftshyäne namens Horace Walpole, den missratenen Sohn des ersten englischen Premierministers, abwälzen, der vermutlich eine reine Erfindung ist. Jean-Jacques kann nur staunen, zu welch absurden Lügen man inzwischen greift.
    Er setzt ein Schreiben an all jene Zeitungen auf, die den Brief abgedruckt haben: Sie lassen sich für die finstersten Pläne einspannen!
    Was Spötter nur umso mehr reizt, weitere fingierte Briefe zu veröffentlichen. Fast jeden Tag erscheint ein neuer.
    In Wootton treffen neuerdings aber auch immer wieder allerfreundlichste Briefe von James Boswell an den verehrten Herrn Philosophen ein. Thérèses Andeutungen genügen Jean-Jacques, um keinen einzigen zu beantworten. Als Boswell schließlich über die ausbleibende Post klagt, lässt Jean-Jacques ihm noch ein einziges Mal ein paar Zeilen zukommen.
    Ihre Briefe, mein Herr, kann ich nur schwer verstehen, schreibt er. Doch ich danke Ihnen für das Interesse, das Sie an meiner und Mademoiselle Levasseurs Gesundheit bezeugen. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen empfehle, sich auch um Ihre Gesundheit zu sorgen und von Zeit zu Zeit einen Aderlass machen zu lassen; ich glaube, es kann Ihnen nicht schaden.
    Weitere Briefe von Boswell treffen nicht mehr ein. Jean-Jacques sieht ihn vor sich, wie er panisch geworden ist und seinen Unterleib nach Geschwüren absucht.
    Von Tag zu Tag wird Jean-Jacques seine Bleibe unheimlicher. Dass hier niemand seine Sprache spricht, gehört auch zum Komplott. Manche könnten es sicherlich, dürfen es aber nicht. Und er ist sich sicher, dass sie allmählich vergiftet werden. Selbst Thérèse hat dieses Gefühl.
    Dreimal täglich mischt ihnen Davenports über neunzigjährige Amme Asche ins Essen. Ständig schleicht sie in der Küche herum. Lässt Thérèse beim Kochen keinen Augenblick aus den Augen. Kehrt man ihr für einen Moment den Rücken zu, schüttet sie sofort etwas in die Töpfe. Inzwischen strengt sie sich nicht einmal mehr an, die Asche in der Bratensoße gut zu verrühren.
    Noch nie im Leben war Thérèse krank. Hier fühlt sie sich auf einmal sterbensmüde. Sie müssen fliehen, so schnell wie möglich. Der letzte Beweis ist ein Brief von DuPeyrou, der geöffnet wurde. Jean-Jacques schreibt ihm zurück, man könne nicht einmal mehr Davenport trauen. Ihm vermutlich am allerwenigsten. Er sei viel zu zuvorkommend, viel zu eilfertig, viel zu korrekt. Dahinter stecke eine geheimnisvolle englische Kälte. Außerdem sei er ein Freund von Hume. Und er treibe seine Amme dazu an, ihnen im wahrsten Sinne des Wortes das Leben zu vergiften.
    Eines frühen Morgens sitzen Thérèse und Jean-Jacques wieder in einer Kutsche. Sie haben keinem etwas davon gesagt. Von unterwegs lässt Jean-Jacques Davenport einen Brief zukommen. Mich schmerzt der Gedanke, klagt er ihm, dass ich einen so liebenswürdigen Gastgeber nicht zu meinem Freund machen konnte. Ich ziehe jede andere Gefangenschaft jener abscheulichen vor, in der ich leben musste und die, was immer auch kommen mag, nicht andauern konnte.
    Seinen armenischen Kaftan lässt er im Koffer, um auf der Flucht nicht erkannt zu werden. Er trägt jetzt ein Gewand, wie man es überall sieht.
    Als er mit Thérèse auf seiner Irrfahrt in der kleinen östlichen Hafenstadt Boston anlangt und erfährt, dass von hier aus kein Schiff nach Frankreich geht, ist für ihn klar, dass in ganz England der Verkehr über den Kanal lahmgelegt worden ist, um ihn doch noch zu erwischen.
    In Boston erklärt man ihm, er müsse nach Dover in den Süden, dort gingen jeden Tag ein paar Schiffe.
    Doch er will sich nicht zum Narren halten lassen. Es ist eine

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