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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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verstummt. Hume dachte, er würde sich freuen. Doch er wird bleich und schweigt. Vom Wein, der auf dem Tisch steht, nimmt er keinen Schluck, von den Würsten keinen Bissen. Hume versucht es noch mit einer unverfänglichen Frage nach dem Wohlbefinden, was er aber nicht einmal mehr zu hören scheint. Das Einzige, was die nun lang anhaltende Stille nicht völlig totenstill macht, ist Humes gelegentliches Kauen, Schlucken und leises Schmatzen. So beklemmend die Situation ist, so wenig will er es sich entgehen lassen, von dem Vesper zu kosten. Thérèse schaut sich immer wieder um, als wartete sie auf etwas.
    Lügen Sie mich nicht immer an!, schreit Jean-Jacques Hume auf einmal an. Dass eine leere Postkutsche ausgerechnet morgen von London aus in den hintersten Winkel des Landes fahren soll, dorthin, wo so gut wie nie ein Mensch hin will, glauben Sie doch selbst nicht! Ich weiß längst, wer Sie sind. Glauben Sie bloß nicht, ich hätte in dieser Nacht nicht gehört, was Sie gesagt haben.
    Wieder stürzt er ins Zimmer nebenan und schließt sich ein.
    Hume weiß nicht, was er sagen soll. Thérèse schaut zu Boden.
    Nach einer Weile öffnet sich die Tür, Jean-Jacques kommt zurück, wirft sich Hume um den Hals, fängt an zu heulen und wimmert: Verzeihen Sie mir, verzeihen Sie! Ich liebe Sie so sehr.
    Hume gibt zu, dass der Kutscher von seinem neuen Gastgeber, Mister Davenport, bezahlt wurde, um Jean-Jacques ohne alles Aufsehen einen Gefallen zu tun.
    Jean-Jacques scheint mit sich zu ringen, ob er wieder schreien oder einfach ruhig bleiben soll. Er nimmt Thérèse bei der Hand und sagt im Hinausgehen vor sich hin: Nicht mit mir.
    Von Hume geht erneut ein Brief nach Paris. Er klingt anders als alle bisherigen. Madame de Boufflers liest ihn wieder im Hause Holbach vor.
    Holbach sagt diesmal: Jetzt weiß er es auch.
    An Hume schreibt er zurück: Jeder Mensch sucht, was ihm guttut, nur Jean-Jacques sucht, was ihm nicht guttut. Er giert nach allem, was einen nicht glücklich macht: Streit, Ungeselligkeit, Mittellosigkeit. Und die Welt soll dann dafür büßen.
    Wootton ist ein Städtchen mit Backsteinhäusern, einem Fluss und rundum saftigen Wiesen. An DuPeyrou schreibt Jean-Jacques: Das neue Heim steht an einem Hügel, ein allein stehendes Haus mit Terrasse, von der aus man auf stattliche Gehöfte und prächtige Häuser blickt.
    Er verschweigt, dass es sich um ein Schloss mit mächtigen Türmen und einem Dutzend Kaminen handelt.
    Wieder könnte es ein Paradies sein. Wenn nur die Leute nicht wären. Und wenn es nicht so kalt wäre. Mitten im Frühjahr. Und wenn die Landschaft nicht so eintönig wäre. Trotz der vielen Wiesen. Oder gerade ihretwegen. Und wenn das Gemüse nach ein bisschen mehr schmecken würde. So wie in Frankreich und daheim in der Schweiz. Genauso wie die Hasen und Rehe. Ganz abgesehen davon, dass die Geschichte mit der Postkutsche weiterhin suspekt bleibt. Weshalb Jean-Jacques Hume nochmals einen Brief schreibt. Die Sache werde ein Nachspiel haben. Es könne auch kein Zufall sein, dass der Kutscher betrunken gewesen sei.
    Zu all seinem Überdruss trifft in Wootton auch noch ein Brief aus Neuchâtel ein, in dem DuPeyrou beiläufig bemerkt, er werde jetzt etwas von Voltaire veröffentlichen. Jean-Jacques schreibt ihm zurück: Entweder er oder ich.
    Es erreicht ihn noch ein weiterer Brief, und zwar von Friedrich dem Großen. Er lautet:
    Mein lieber Jean-Jacques,
    Sie wandten sich von Ihrer Heimat Genf ab; Sie ließen sich aus der Schweiz hinausjagen, aus einem Land, das Sie in Ihren Schriften so gepriesen haben. In Frankreich werden Sie gesucht. Kommen Sie also zu mir. Ich bewundere Ihre Talente und vergnüge mich an Ihren Träumereien, denen Sie sich, ganz nebenbei gesagt, schon viel zu lange und viel zu sehr hingeben. Irgendwann muss man doch weise und glücklich werden. Sie haben mit Ihren Sonderbarkeiten viel von sich reden gemacht, was einem wahrhaft großen Mann nicht ansteht. Beweisen Sie Ihren Feinden, dass Sie manchmal auch Verstand annehmen können. Das wird sie ärgern, und Ihnen schadet es nicht. Mein Land bietet Ihnen einen friedlichen Rückzugsort. Ich wünsche mir für Sie das Beste und möchte Ihnen helfen, vorausgesetzt, Sie sind damit einverstanden. Lehnen Sie jedoch meine Hilfe beharrlich ab, so seien Sie versichert, dass ich keinem etwas davon erzähle. Sollten Sie darauf bestehen, immer neues Unheil zu suchen, so haben Sie freie Wahl. Ich bin König und kann Ihnen so viel Unglück antun, wie

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