Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
zufällig vorbei kam und sich wegen des einsetzenden Regens eine Hochzeit ansah. Mit eilenden Schritten überquerte sie den Parkplatz der alten Grundschule. Nahm den schmalen Durchgang vorbei am linken Seitenschiff der Kirche und hielt sich im Schatten des Gebäudes, jedoch so, dass sie all das im Blick hatte, was ihr nicht entgehen sollte. Dirk war nicht zu sehen. Vermutlich wartete er bereits vorne am Altar auf seine Braut. Seine zukünftige Frau tänzelte nervös in einem cremefarbenen Kleid mit langem Schleier, so, wie Leonie es in ihrem Traum letzte Nacht gesehen hatte, und schickte sorgenvolle Blicke in den Himmel. Zu ihrer rechten sah ein älterer Herr, ihr Vater, vermutete Leonie, ständig auf seine Uhr. Dann war es so weit. Die kräftig anschlagende Orgelmusik als auch der heftiger werdende Regen waren der Auftakt. Beides wurde untermalt von einem krachenden Donnerschlag. Die Braut hakte sich überreizt bei dem älteren Herrn unter. Schleunigst und wenig hoheitsvoll schritten sie die sechs Stufen zum Hauptkirchenportal hinauf. Kaum waren sie aus Leonies Blickfeld verschwunden, schlich sie sich in die Kirche und hielt sich hinten. Dirks Anblick in seinem schwarzen Anzug, dem strahlend weißen Hemd mit der schwarzen Fliege, wie er würdevoll vor den Altarstufen stand und seiner Braut entgegen sah, zerriss ihr das Herz. Die Braut hatte sie eines Tages sein wollen. Mit ihm hatte sie glücklich werden wollen. Mit ihm hatte sie Kinder haben wollen, eine normale glückliche Familie, eine normale Frau sein wollen. Geschützt vor den Zugriffen ihres Vaters. Sie sah sich erneut mit Dirk in den Weinbergen auf ihrer Bank. Hörte, als würde er jetzt neben ihr stehen, sein geflüstertes › ich liebe dich ‹. Der aufflammende Schmerz in ihrer Brust vermischte sich mit Enttäuschung, die Enttäuschung mit Wut, die in Zorn gipfelte. Leonie schob mit zwei Fingern ihre Sonnenbrille etwas herunter und lugte über den Brillenrand hinweg. Lächelnd reichte Dirk der Braut seinen Arm. Sie strahlte ihn an und schickte damit tausend Nadelstiche in Leonies Herz. Aber es war der Donnerschlag, der gleich dem Blitz folgte, der ihre Hand zu ihrer Brust zucken ließ. Das Gewitter war direkt über ihnen. Dirk und seine Braut sanken während des nächsten Donnergepolters auf die kleine bereitgestellte Kniebank nieder. Aus der knienden Position blickten beide zum Pastor auf, der gegen das Himmelsgetöse mit seiner Rede begann. Leonie hörte nicht mehr hin. Die Hochzeitsgesellschaft hatte sich in den ersten Reihen rechts und links aufgeteilt. Alles starrte auf das Brautpaar. Niemand würde sich umdrehen. Sie ging auf leisen Sohlen im linken Seitenschiff weiter nach vorne. Hinter dem schützenden Pfeiler hielt sie sich verborgen. Mit vorgeneigtem Kopf beobachtete sie am Pfeiler vorbei die Feierlichkeit. Die kleine Bank, auf der das Braupaar kniete, zierte zu beiden Seiten ein in prächtigen Farben gehaltenes Blumenarrangement in dicken, runden Terrakottagefäßen. Ihr Blick fiel auf den mindestens einen Meter hohen schwarzen, gusseisernen Kerzenständer seitlich des Altars, der schwer auf seinen drei Beinen stand. Die dicke weiße Kerze darauf brannte flackernd. Die Zeremonie näherte sich dem Höhepunkt. Bald würde der Priester die entscheidende Frage stellen. Leonie brannte innerlich. Obwohl sie versuchte, ruhig zu bleiben, zerrte die Angespanntheit an ihren Eingeweiden. Würde sie anschließend heulend zusammenbrechen? Konzentrieren, befahl sie sich. Und unvermittelt vernahm sie Dirks Jawort. Und ehe sie sich versah, passierte alles gleichzeitig. Die Bank, auf der das Brautpaar kniete, rumpelte wie unter Erdstößen. Die Kübel mit ihren Blumengebinden zu beiden Seiten drehten sich wie Kinderkreisel. Die Gestecke wurden vor den entgeisterten Blicken der Hochzeitsgesellschaft herausgeschleudert. Einzelne Blumen wirbelten durch die Luft und verteilten sich auf dem Boden. Scheppernd zersprangen die Terrakottakübel in unzählige Stücke. Wie zur Bestätigung rollte ein anhaltender Donner durch die Kirchenhalle. Die Gäste sprangen auf, fielen ratlos wieder zurück in die Bänke, sahen verstört um sich, redeten und riefen durcheinander. Konzentrieren! Dirk sprang konsterniert von der polternden Bank auf die Beine und sah sich erschrocken um. Die Braut stieß mehrere Angstschreie aus und versuchte, ebenfalls auf die Füße zu kommen. Die Arme ihres Bräutigams fuhren blitzschnell vor, um ihr dabei zu helfen. Doch zack , schickte Leonie einen
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