Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Körper verflüchtigte sich allmählich. Nur im Kopf tickte und pochte es noch. Also eine gute Stunde. Vielleicht manchmal etwas mehr musste sie einkalkulieren, bis ihr Körper annähernd den Normalzustand erreichte. Sie resümierte. Je mehr sie sich steigerte, umso größer würden die Qualen hinterher sein. Und sie fragte sich, was passieren würde, wenn sie sich einmal unkontrolliert verausgabte? Würde sie dann womöglich sterben?
14
Sie hatte recht behalten. Thomas Broll erwartete sie ungeduldig. Es war wesentlich später geworden, als sie geplant hatte. Als sie auf den Hof auffuhr, erschien er sofort in der Tür des Verkaufsraumes und sah ihr entgegen. Dennoch konnte sie in seinem Gesicht keine ungeduldige Verärgerung erkennen. Langsam stieg sie aus dem Wagen. Einem Impuls heraus wäre sie lieber sitzen geblieben und hätte sich sofort in ihr Bett gebeamt.
Das abziehende Gewitter hinterließ noch vereinzelte Regentropfen, die Leonie in ihrer nassen Kleidung wie eine sanfte Liebkosung empfand. Thomas kam ihr entgegen. „Du bist ja völlig durchnässt.“
„ Tut mir leid, hat etwas länger ...“ Sie hielt irritiert inne, als sie bemerkte, wie Broll sie anstarrte. Doch wohl nicht wegen ihrer nassen Kleidung? Leonie kniff die Augen zusammen und kämpfte gegen den Schwindel, der sie erneut und auch während der Rückfahrt immer wieder attackiert hatte.
„ Um Himmels Willen Leonie, was ist mit dir? Du bist ja ganz grün im Gesicht.“ Er legte den Arm um sie und geleitete sie in den Weinverkauf. Oh Gott, war es noch nicht vorbei? Das warf ihre einkalkulierte Zeit danach über den Haufen. Wenn sie doch nur eine Art Gegenprogramm auffahren könnte.
„ Grün ..., du meinst, richtig grün ...?“ fragte sie verdattert mit durcheinander jagenden Gedanken. Ihr blieb fast die Luft weg. Änderte sich etwa danach auch ihre Hautfarbe? Hastig zog sie ihre Jeansjacke aus und kontrollierte ihre Arme. Die Goldbräune war wie immer. Erleichtert atmete sie durch. Thomas nahm ihr die Jacke ab und führte sie hinter die Theke in den Büroraum. „Du solltest dich sofort umziehen“, mahnte er, drückte sie aber trotzdem auf den Stuhl vor dem PC. Er ging vor ihr in die Hocke. Seine Augen forschten in ihren. „Jetzt erzähl mal, Mädchen, was ist passiert?“
Der warmherzige Klang seiner Stimme rührte sie zutiefst. Sie schluchzte auf und verspürte den übermächtigen Wunsch, sich jemanden anzuvertrauen. Konnte sie Thomas vertrauen? Erneut dachte sie an die Journalistin, die sie im Geiste mit ihren grünen Augen anlächelte. Leonie rieb sich die Tränen fort und damit gleichzeitig das Bild. Thomas’ Finger fuhren zärtlich über ihre Wangen. Und als hätte er damit ihre Seele gestreichelt, brach sie in erleichterndes hemmungsloses Weinen aus. Intuitiv schlang er seine Arme um sie. Leonies Kopf sank herab auf seine Schulter. Ihre Trä nen befeuchteten sein Hemd. Erst langsam beruhigte sie sich, und sie empfand es als angenehm, seine Arme um sich zu fühlen, ihren Kopf auf seiner Schulter ruhen zu lassen. Obwohl ihre Tränen längst versiegt waren, blieb sie in seinen Armen und fühlte sich einfach nur geborgen. Sie hatten ihn nicht kommen hören.
„ Arbeiten, verdammt noch mal! Ihr sollt arbeiten, und nicht herumturteln!“
Leonie zuckte hoch und schwang sich seitlich vom Stuhl. Jetzt war genau das geschehen, was beide jahrelang in schweigender Vereinbarung zu umgehen versucht hatten. Nun würde Broll gehen müssen, durchzuckte der Gedanke ihr Herz. Leonie sah die Hand ihres Vaters auf Thomas Brolls rechte Schulter klatschen, dass Thomas erheblich schwankte. Mit letzter Mühe hielt er sich in seiner Hocke. Erschrocken blickte er aus seiner würdelosen Position hinauf, direkt in Rosskamps knallrotes Gesicht. Leonie verfolgte sorgenvoll die Szene. Wütend, schäumend vor Zorn, dass sie dachte, ihm würde jeden Moment die Hirnschlagader platzen, blickte ihr Vater auf Thomas herab. Mit einem innerlich triumphierenden Lächeln verfolgte sie, wie Thomas sich langsam paritätisch aufrichtete und aus der Höhe auf seinen fünfzehn Zentimeter kleineren Chef hinab sah. Der ballte unvermittelt seine Hände zu Fäusten. In der nächsten Sekunde trommelten sie auf Brolls Brustkorb nieder.
„Wehe du rührst sie nochmals an, du Bastard! Raus! Deinen Job hast du gehabt!“
Brolls Gesicht färbte sich dunkelrot. Er zeigte ebenfalls die Fäuste und tänzelte vor Rosskamp kampfbereit hin und her. „Man sollte dich umbringen, du
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