Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
sanften „Hallo“ begrüßte Leonie Thomas Broll, der sich beinahe überstürzt erhob, ihr die Hand reichte und ihr zum Geburtstag gratulierte. Thomas war mittlerweile so etwas wie Betriebsleiter oder auch Verwalter, praktisch Vaters Stellvertreter und hatte Leonie mit ausgebildet. Mit ihm verband sie eine zarte Freundschaft, unauffällig gehalten, da beide wussten, dass Brolls Tage gezählt sein würden, wenn Vater mehr als eine rein geschäftliche Aufmerksamkeit vermutete. Jedoch war er auf der anderen Seite auf Brolls Hilfe angewiesen und schätzte ihn. Thomas Broll lebte momentan in Scheidung und suchte vermehrt Leonies Nähe, wenn sie in den Weinbergen arbeiteten.
Die Kellnerin kredenzte Vaters besten Wein, einen trockenen Neuenahrer Sonnenberg, Spätburgunder Barrique, herangereift in einem neuen 220 l Eichenholzfass, ausgezeichnet mit der goldenen Kammerpreismünze der Landwirtschaftskammer. Aber bei Wein würde es bei Vater nicht bleiben, das wusste Leonie. Gleichwohl wie den Wein liebte er Whisky, auf den er sicherlich später umschwenkte. Der Koch Jens Hanisch servierte persönlich das Essen. Leonie dachte bei seinem Anblick daran, dass Vater drei Köche entlassen hatte, als er bemerkte, dass sie ihr schöne Augen machten. Jens Hanisch allerdings war im betagten Alter. Frau Senge, die Vollzeitküchenkraft, überraschte sie mit ihrem Lieblingsnachtisch, den sie selbst hergerichtet hatte. Ein riesiges Stück Tiramisu, in dessen Mitte eine kleine Kerze steckte. Leonie war gerührt. Vater hatte sich wirklich was einfallen lassen zu ihrem Geburtstag. Begann er etwa, sich zu ändern?, dachte sie verunsichert. »Nein«, murmelte sie unmerklich, als sie seine Umarmung am Sonnenberg wieder vor Augen hatte.
Während des Essens redeten sie über belanglose Dinge. Zu Leonies Bedauern verabschiedete sich Thomas Broll recht bald. Eine Weile blieb es nach seinem Weggang still am Tisch, bis Vater sich räusperte, ehe er eine schmale Schachtel aus seiner inneren Jacketttasche zog, sie öffnete und ihr über den Tisch hin zureichte. Zögernd griff Leonie die violettfarbene Schachtel und stöhnte auf. „Oh, Vater, nein, das ist zu viel, das möchte ich nicht“, und dachte, s o ein Geschenk macht man seiner Frau oder seiner Geliebten. Leonie starrte auf eine weiße doppelreihige Perlenkette mit einem brillanten besetzten weißgoldenen Kugelverschluss. Was war nur plötzlich los? Diese Beachtung ihres Geburtstages hatte sie nicht erwartet. Sonst hatte er sich doch auch nie darum geschert. Er war ihr gegenüber freundlicher, sicher, das war ihr aufgefallen, aber auch drängender geworden in dieser bestimmten Manier. War nicht mehr so boshaft wie früher, wo er sie nur tyrannisiert und bestraft hatte. Und das immer mit dem Hintergedanken, sie anfassen zu können auf die eine oder andere Weise, und wenn es nur Schläge waren. Was hatte er vor? Wieso fragte sie sich, sie wusste es doch und es graute ihr. Bei diesem Bild überkam sie Übelkeit. Rasch scheuchte sie es fort, aber ihr Unbehagen ließ sich nicht abschütteln. Irritiert sah sie noch immer auf die Perlenkette. Vaters gespannter Blick ruhte auf ihr Gesicht. Es ist paradox, dachte sie. Verletzen will ich ihn in diesem Augenblick auch nicht. Tapfer lächelte sie ihn an und stotterte mehrmals. „Danke, Vater.“
Herbert Rosskamp trank im Laufe des Abends zwei Flaschen des Spätburgunders, einige Grappa, rauchte seine Zigarillos und vertilgte eine halbe Flasche Kentucky Bourbon. Den ganzen Abend fühlte sich Leonie von ihm beobachtet. Je mehr er trank, umso deutlicher glaubte sie, einen lauernden Blick in seinen Augen zu erkennen. Sie nippte an ihrem Weinglas und wäre beinahe aus allen Wolken gefallen, als er unvermittelt meinte. „Bist du verliebt, Leonie?“ Abrupt stellte sie ihr Glas zurück und starrte ihn einen Moment verblüfft an. Durch die Schärfe in seiner Stimme witterte sie sogleich auch Gefahr. Wusste Vater etwa von Dirk? Sie war doch so vorsichtig gewesen. Und im Laufe der Jahre hatte sie einige Tricks und Schliche gelernt, um damit wenigstens die Bedürfnisse zu befriedigen, die einem heranwachsenden Mädchen inne waren. Beherzt zwang sie sich zur Ruhe, nahm erneut ihr Glas, nippte daran und setzte es diesmal behutsam wieder auf den Tisch. Sie schielte zu der Kellnerin, ob sie bemerkte, dass etwas Sonderbares ablief. Sie räumte die Tische ab, denn um neun Uhr abends schlossen die Weinterrassen. Es war bald halb zehn und die letzten Gäste waren
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