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Wir beide nahmen die Muschel

Wir beide nahmen die Muschel

Titel: Wir beide nahmen die Muschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Hendrix
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Welches grauenhafte Schicksal wird hier
zugeschlagen haben? Leider war die Schrift sehr verwittert und ich konnte die
Namen und das Jahr nicht erkennen. Welche Strapazen müssen diese beiden
erduldet haben? Wie konnte man damals mit einem Kind diesen Weg gehen, wo wir
in der heutigen Zeit schon oft an unsere Grenzen geführt wurden. Wie lange
waren sie unterwegs gewesen, vielleicht ohne Geld um sich Nahrung zu kaufen? Sie
werden sich bestimmt von dem ernährt haben, was der Wald ihnen bot. Was war
aber im Spätherbst oder im Winter, wenn es nichts mehr gab? Welche riesengroße
Unterschiede zu unserer heutigen Wallfahrt. Wir haben jeden Tag unser Dach über
den Kopf, bei Unwohlsein hat jeder dritte Ort eine gut bestückte Apotheke und
wenn wir kein Geld mehr haben, ziehen wir es uns am Bankautomaten. Eigentlich
sind wir Pilger erster Klasse. Ich suchte mir nun einen Platz zum Schreiben, um
alle Eindrücke des Tages wieder zu Papier zu bringen. Ich finde sehr praktisch
im Schatten eine große umgedrehte Kabeltrommel als Tisch. Eine gute Flasche
Wein regte dabei meinen Geist an. Anja kam kurz zu mir, um mich zu begrüßen und
ich hatte sie mit ihrem Kopfschmuck fotografiert. Solche Pilger wie sie sind
auf dem Camino das Salz der Erde. Wie viele hatten heute einen sehr schweren
Weg hinter sich gebracht und waren am Ende ihrer Kräfte? Sie baute mit ihrem
ansteckend fröhlichen Wesen manchen wieder auf. Ich hatte heute auf unseren Weg
eine sehr alte Frau überholt. Sie ging sehr langsam und schwerfällig. Ihrem
Alter entsprechend hatte sie viele Pfunde angesetzt. Sie trug auf ihrem Rücken
einen sehr alten grünen Rucksack mit Lederschnüren. Sie stützte sich dabei auf
einem alten Spazierstock. Um Gotteswillen, das kann doch keine Pilgerin sein,
in ihrem Alter. Mit einem freundlichen »buen camino« habe ich sie gegrüßt und
wollte schon weiter gehen als sie mir ein freundliches »Guten Morgen« wünscht.
Wie war ich überrascht, es war eine Pilgerin aus Deutschland. Ihr Alter habe
ich auf achtzig Jahre geschätzt. Auf meine Frage, woher sie käme, sagte sie
»aus der Nähe von Gelsenkirchen.« »Und wo sind sie gestartet?« »In Frankreich!«
Das kann nicht sein, das wären ja 632 km, aber doch nicht mehr in diesem Alter.
Sie sah meinen zweifelnden Blick und sagte zu mir, »in meinem Alter muss man
alles langsam angehen. Es genügt wenn ihr jungen Leute rennt.« Ich musste über
ihrer Worte lachen. Nächste Woche werde ich siebenundsechzig. Sie musste jetzt
aber auch lachen. Wäre hier eine Bank gewesen, ich hätte mich hier gerne mit
ihr eine Stunde hingesetzt und erzählt. Sie war, wie man bei uns im Rheinland
sagt, noch »Eine vom alten Schlag.« Dreieinhalb Monate war sie schon unterwegs.
Nicht jeden Tag war sie gelaufen, »manchmal muss man sich in meinem Alter auch
etwas ausruhen«, sagte sie mit einem schmunzelnden Blick. »Wann gedenken sie in
Santiago anzukommen?« »Junger Mann, sag nicht immer Sie zu mir, als Pilger sind
wir doch alle per du.« Ich hätte sie am liebsten an mich gedrückt. »Weißt du,
wenn ich in Santiago ankomme entscheidet der dort oben, aber wenn der mir gut
gesonnen ist, bin ich in drei bis vier Wochen dort. Ich werde das Grab des
heiligen Jakobus besuchen und dann geht es heim. Ich freue mich nämlich schon
sehr auf meine beiden Urenkel. Die werden bestimmt schon wieder ein Stück
gewachsen sein.« Ich hätte mich gerne noch viel länger mit ihr unterhalten,
aber der Abstand zu meiner Partnerin war schon zu groß geworden. Leider sind
sehr viele dieser Begebenheiten bei meiner Vergesslichkeit heute nicht mehr in
meiner Erinnerung, darum bin ich sehr froh, dass ich mir damals jeden Tag die
Zeit genommen habe und alles zu Papier gebracht hatte. Es war nun 18:00 Uhr
geworden und meine Partnerin ruft ihren Koch. Ich lasse mich gerne beim
schreiben unterbrechen, denn eine vernünftige Mahlzeit ist für uns sehr
wichtig. Viel zu oft leben wir von süßem Gebäck oder sonstigen Süßigkeiten.
Aber das ist eben spanische Küche am Pilgerweg. Ich schnappte mir unsere Tasche
mit Einkäufen um in die Küche zu gehen. »Heinz hast du heute nichts vergessen?«
Oh mein Gott was nur? »Willst du dich nicht vorher Duschen? Sonst riechst du
mehr wie das Essen.« Verflixt, ich hatte es tatsächlich vergessen. Schnell habe
ich mich rasiert, unter der Dusche eben abgesprüht und eingeseift. Das Wasser
war nur noch etwas warm. Dann kam nur noch eiskaltes Wasser. Ich glaube ich bin
fünf Zentimeter

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