Wir beide nahmen die Muschel
uns nur noch ab und zu eine SMS. Hinter uns saßen zwei
deutsche Männer, welche mit ihren großen Reden auf uns abstoßend wirkten. Der
erste war im letzten Jahr in Amerika gewesen und hatte vierzehn Tage eine
Büffelherde getrieben und unter einer Pferdedecke in der Steppe geschlafen. Am
Zielort wurden die Büffel mit Ohrmarken versehen und in vier verschiedenen
Richtungen weiter getrieben, damit keine Inzucht entstehen konnte. Der andere
war vierzehn Tage mit Hundeschlitten in Alaska unterwegs gewesen. Bei all den
Abenteuern weiß man fast nicht mehr was man unternehmen soll, war seine
Meinung. In unserer Gemeinde machen sich jedes Jahr bis zu 140 Menschen auf, um
zu Fuß die 220 km zum Grab des Apostels Matthias zu pilgern. Auch da gehen
einige aus sportlicher Bestätigung und Freude an der Gemeinschaft mit, der
Glaube und das Gebet sind da zweitrangig. Wer wird uns glauben, dass wir aus
christlicher Überzeugung diesem mehr als 1000 km langen Weg auf uns genommen
hatten? Ines und wir wollten morgen bis León gehen, Miriam war mit ihrer
Schwester, der es gesundheitlich nicht so gut ging unterwegs. Sie hatte in der
Meseta Wasser aus einem Brunnen getrunken und hatte nun sehr große
Darmprobleme. Sie wollten morgen nach 13 km abbrechen. Beim Betreten des
Restaurants hatte ich in der Wirtschaft auf der Theke einen herrlichen
Schokoladenkuchen gesehen. So etwas darf man nicht alt werden lassen. Ich habe
mir noch ein großes Stück davon bestellt. Wie war ich erstaunt, dass ich dafür
bei der freundlichen Wirtin nichts zu bezahlen brauchte. Ich werde morgen auf
unserem Weg dafür für sie ein Vater unser beten. Die beiden Pilgerinnen verabschiedeten
sich von uns und Ines ließ ihre halbvolle Weinflasche für uns beiden zurück.
Leider hatte der Mann, als wir zur Albergue zurückgingen, schon die Tür seiner
Bodega verschlossen. Ich hatte bei ihm alles fotografiert nur ihn nicht. Ich
habe es schon oft bereut. Wir hatten einen sehr schönen entspannten Abend
gehabt und auch danach eine sehr ruhige Nacht. Fast alle Betten waren nun
besetzt und kein Rhinozeros war zu hören. Ich denke, sie werden bestimmt schon
alle in Madrid im Zoo sein.
Reliegos — Puente Villarente
12,4 km, 20
m Aufstieg, 30 m Abstieg
Montag, den
9. Mai 2011
U m 7:15 Uhr
verließen wir ohne Frühstück die Albergue. Wie immer in den letzten Tagen ohne
sich zu waschen und Zähne zu putzen. Manch einer wird den Kopf darüber schütteln,
aber das ist so am praktischsten. Wenn ich mich abends rasiere, meine Zähne
putze und mich dusche, kommen alle Teile, welche ich dazu benötige, am nächsten
Morgen trocken in meinem Rucksack. Wenn ich dies auf den Morgen verlegen würde,
hätte ich die nassen Sachen den ganzen Tag darin. Sehr schnell haben wir das
armselige und doch für mich so aufregende Reliegos verlassen und unsere
Steppenlandschaft hat uns wieder. Bei all den blühenden Blumen in der weiten
Steppe erfreute sich wie an jedem Tag unser Herz. Wir überholten wieder unser
älteres spanisches Ehepaar. Auch heute beten sie gemeinsam den Rosenkranz und
singen Kirchenlieder. Ob es solch einen tiefen Glauben in zwanzig Jahren in
unserem Europa noch geben wird? Ich glaube es nicht. Bis dahin wird die
Geldgier und der Stress total Besitz von uns ergriffen haben. Der einzige
Wermutstropfen heute ist die sehr schadhafte Asphaltstraße nach Mansilla de las
Mulas. Ein Auto haben wir auf dieser Strecke nicht gesehen. Ein alter Mann mit
Rucksack, Stock und Stockschirm kommt uns entgegen. Als er näher kommt, sehen
wir, dass es ein Pilger ist. Ich frage ihn, ob er von Santiago käme, was er
bejahte. Er erzählte mir, dass er in Toulouse in Frankreich gestartet wäre, in
Santiago das Grab des Hl. Jakobus besucht hätte und nun wieder zurück zu seiner
Familie gehen würde. Er war stark über siebzig Jahre alt. Der Weg bis Santiago
allein waren 1100 km. Als ich darauf ausrief, »Oh mein Gott«, sagte er zu mir,
»nicht oh mein Gott, mein Gott ist dort oben«, dabei zeigte er mit beiden
Händen zum Himmel, »dort ist mein Gott und er schaut immer auf mich herab und
beschützt mich.« Da kann ich nur sagen, oh mein Gott, was sind wir doch für
ungläubige Christen! Was ist er doch für ein gläubiger Mensch. Ganz kleinlaut
habe ich mich von ihm verabschiedet. Er wird zeitlebens in meinen Gedanken
bleiben. Weit in der Ferne sehen wir die Bergkette Montes de León. Diese werden
wir in einigen Tagen zu bewältigen haben. Wir überqueren den Arroyo Grande
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