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Wir beide nahmen die Muschel

Wir beide nahmen die Muschel

Titel: Wir beide nahmen die Muschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Hendrix
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sehr groß und man hatte im Inneren fast
den gesamten Putz abgeschlagen, so konnten wir sehen, wie man vor fast tausend
Jahren hier Stein auf Stein zusammen gefügt hatte. Über den Altar hing ein
großes Kreuz, sonst war die Inneneinrichtung sehr schlicht und einfach. Auf einem
Tisch lagen die Texte der Gebete in mehreren Sprachen. In wenigen Minuten war
die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt. Ein junger Priester, welcher sehr
viel Liebe und Güte ausstrahlte, erzählte in Englisch die Chronik der Kirche,
des Ordens und des Stundengebets. Sie sangen ihre Gebete als gregorianische
Choräle. Ich denke es war für fast alle ein Erlebnis. Leider wurden wir aber
von einer ganzen Reihe spanischer Frauen hinter uns erheblich gestört. Fünf
Frauen unterhielten sich ununterbrochen und lachten bei ihrer Unterhaltung.
Eine öffnete mit einem Plopp ihre Coladose und trank sie seelenruhig aus. Zwei
gaben SMS in ihre Handys ein, wobei ein Handy bei jedem drücken einen Ton von
sich gab. Diese Frauen waren bestimmt auf der falschen Veranstaltung. Nach dem
Gebet hatte meine Partnerin keinen Hunger und so ging ich allein zum
Abendessen. Als ich zurück in unser Zimmer kam, hatten wir eine holländische
Bettnachbarin bekommen. Bettruhe war für uns um 21:00 Uhr.

Rabanal del
Camino — El Acebo
     
    16,6 km, 380
m Aufstieg, 400 m Abstieg
    Mittwoch,
den 18. Mai 2011
     
     
    H eute ist für
uns ein sehr schwerer, aber auch besonderer Tag, wir werden heute das Cruz de
Ferro erreichen und freuen uns schon sehr darauf. Schon um 6:00 Uhr waren wir
aufgestanden und hatten noch einmal unser Gepäck nachgesehen, ob auch alles
wasserdicht verpackt war. Besonders unsere Schlafsäcke, nicht auszudenken wenn
diese einmal nass würden. Auch mussten wir genügend Wasser mitnehmen, weil es
auf der gesamten Strecke keine Brunnen und auch nichts zu kaufen gab. Gestern
waren schon einige Schlechtwetterwolken übers Gebirge gezogen und am Abend
hatte es noch einmal stark geregnet. Im Moment sieht es noch etwas schlechter aus.
Oben auf den Bergen liegt noch Schnee und ich möchte dort in kein Unwetter
geraten, ich hoffe dass alles gut geht. Nach dem Frühstück begannen wir abseits
der Landstraße unseren Aufstieg zum Puerto de Foncebadón mit 1439 m. Der Weg
ist einigermaßen gut und wir sind noch ausgeruht. Nach anderthalb Stunden
erreichen wir den Ort Foncebadón. Der Eremit Gaucelmo hatte hier im 12. Jh.
eine Herberge für Pilger gegründet. Weitere Mönche gründeten ein Kloster. Bis
zum 19. Jh. stand der Ort unter königlichem Schutz, dann starb der Ort aus.
Fast alle Lehmhäuser sind eingestürzt. Heute leben hier nur noch fünf Personen.
In der Kirche wurde 2003 seit dreißig Jahren erstmals wieder eine Messe
gelesen. Weit hinter uns sehen wir Helen und Terry kommen, wir warteten auf sie
und gehen gemeinsam weiter. Wir wandern auf einem angenehmen Pfad bergauf. Es
waren nur noch 45 Minuten bis zum Cruz de Ferro, bald konnten wir es schon
sehen. Auf einer Hochebene des Monte Irago ist es einer der schlichtesten, aber
eindringlichsten Stellen am Jakobsweg. Aus einem fünf Meter hohen Steinhaufen
ragt ein langer schlanker Eichenpfahl, darauf ein kleines rostiges Eisenkreuz.
Seit vielen Jahrhunderten legen die Pilger hier einen Stein ab. Das Gebet des
Cruz de Ferro lautet:
     
    Herr, möge dieser Stein, Symbol
für mein Bemühen auf meiner Pilgerschaft, den ich zu Füßen des Kreuzes des
Erlösers niederlege, dereinst, wenn über die Taten meines Lebens gerichtet
wird, die Waagschalen zugunsten meiner guten Taten senken. Möge es so sein.
     
    Für viele
Pilger bedeutet das Ritual auch das symbolische Ablegen einer Seelenlast. Auf
jeden Fall sollte der Stein von zuhause mitgebracht und nicht kurz davor
eingesammelt werden! Auch ich habe von zuhause meinen Stein bis hierher
getragen und habe ihn mit einer Träne im Auge oben abgelegt. Helga hatte
zusätzlich einen Brief eines sehr kranken Menschen aus ihrer Gemeinde
mitgenommen und legte ihn am Kreuz unter den Steinen. Auch Helen konnte ihre
Tränen nicht zurückhalten als sie mit ihrem Mann ihre Steine, welche sie von
Australien mitgebracht hatten, am Kreuz ablegten. Den Mast hatten Pilger mit
vielen bunten Bändern geschmückt. Manche hatten ihre Bitten an dem Mast
befestigt, andere Bilder ihrer Lieben oder Totenzettel. Terry und ich haben
viele Fotos zu unserer Erinnerung gemacht. Es ist schon ein sehr ergreifender
Ort, welchen wir hier nach 555 km erreicht haben. Im Jahre 2000

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