Wir Ertrunkenen
hören, aber niemand kam, um zu öffnen. Albert klopfte noch einmal. Der Lärm hielt an. Er wurde von der Tür gedämpft, so dass er ihn nicht genau identifizieren konnte, aber es klang wie eine Prügelei. Jemand rannte, dann folgte ein Prusten, ein Körper klatschte schwer gegen eine Wand. Albert drückte die Klinke herunter, und sofort ging die Tür auf. Er stand in einem kleinen dunklen Flur und klopfte fest an die Tür zum Wohnzimmer.
«Ist da jemand?»
Drinnen wurde es ruhig. Er öffnete die Tür. Josef befand sich mitten im Zimmer, einen Stock zum Schlag erhoben. Maren Kirstine stand auf
dem Sofa und sah aus wie ein kleines Mädchen, das man bei einem verbotenen Spiel erwischt hatte. Aber sie war eindeutig vor Angst dort hinaufgeklettert. Ihr Haar, das sie sonst unter einem Haarnetz trug, war in Unordnung geraten und hing in grauen Strähnen über ihrem verzerrten Gesicht. Sie hielt eine Hand vor den Mund, als wollte sie einen Schrei unterdrücken.
Josef wandte sich dem unerwarteten Gast zu.
«Willst du auch etwas abhaben?», brüllte er und trat drohend einen Schritt vor.
Sein Gesicht mit dem schweren, herabhängenden Schnauzbart und dem kalten arroganten Blick war furchteinflößend wie immer, doch der gealterte Körper war ausgezehrt und gebeugt. Albert riss ihm den Stock aus der Hand und zerbrach ihn über seinem Oberschenkel. Ein leises Triumphgefühl durchfuhr ihn. Er konnte es noch.
«Hier schlagen wir keine Frauen», sagte er und drückte Josef mit einer Hand aufs Sofa, die andere reichte er der wie gelähmt dastehenden Maren Kirstine. Sie ergriff sie und stieg mühsam vom Sofa herunter.
«Ist Ihnen etwas passiert?», wollte er wissen.
Sie schüttelte den Kopf, doch die alten Augen mit den roten Rändern standen voller Tränen. Mit unsicherem Gang verschwand sie schlurfend in der Küche und schloss die Tür hinter sich. Beim Anblick ihres geschundenen Rückens stieg Wut in Albert auf. Er packte Josef, der so verwirrt war, dass er selbst nicht vom Sofa aufstehen konnte, am Revers seiner Jacke und begann, ihn zu schütteln.
«Du schlägst deine eigene Frau?», schrie er ihn an.
Der Adlerkopf schaukelte hin und her. Der Blick war so kalt wie immer. Aber Albert erkannte, wie hinfällig der ehemalige Lotse geworden war. Wenn es noch Kraft in ihm gab, dann nur noch in seinem Willen, nicht mehr in den Händen, die seinen Willen ausführen sollten.
«Ha!», Josef Isager schnaufte verächtlich. «Ich bin zu alt geworden. Sie merkt es nicht einmal, wenn ich sie schlage.»
Hinter ihnen wurde die Küchentür vorsichtig geöffnet.
«Seien Sie nicht zu hart mit ihm», bat Maren Kirstine mit kläglicher Stimme.
Albert ließ Josef los und richtete sich auf. Hilflos stand er mitten im Zimmer und wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte. Josef sackte
auf dem Sofa zusammen, den Blick gesenkt. Sein Gesicht schien wie tot, als hätte er mit dem Bekenntnis der mangelnden Schlagkraft seiner Muskeln die letzten Energie verbraucht und würde sich nun ohne weitere Proteste dem Alter ergeben.
«Setzten Sie sich doch, Kapitän Madsen. Ich mach uns ein wenig Kaffee.»
Es war Maren Kirstine, deren Stimme zu einer normalen Tonlage zurückgefunden hatte, als wäre es ein alltäglicher Vorgang, dass die Gäste den Wirt durchschüttelten und ein wenig herumschubsten, bevor der Kaffee serviert wurde.
Schweigend saßen sie sich gegenüber, während Maren Kirstine in der Küche rumorte. Sie kam herein und deckte den Esstisch. Dann brachte sie den Kaffee und je ein Stück Kuchen. Sie hatte ihr Haar unter dem Netz wieder in Ordnung gebracht und sich die noch immer geröteten Augen ausgewischt. Als sie den Kaffee in die Tassen gegossen hatte, verschwand sie wieder in der Küche.
Josef tauchte den Schnurrbart in den Kaffee und schlürfte. Dann stopfte er sich ein Stück Kuchen in den Mund und begann zu kauen, wobei eine Wolke von Krümeln aus seinem Mund regnete.
«Wieso bist du gekommen?», fragte er.
Er hatte noch immer Kuchen im Mund. Er wollte dem Mann seine Verachtung zeigen, der ihn gerade in die Schranken verwiesen hatte.
«Die Negerhand …», antwortete Albert.
«Ja, was ist damit?», unterbrach ihn Josef.
«Wieso hast du sie Pastor Abildgaard gegeben?»
«Geht dich gar nichts an.»
Josef kniff den Mund zusammen und sog die Lippen ein. Er kaute noch immer. Trotz des hängenden Schnurrbarts glich er plötzlich einem zahnlosen alten Weib, das auf ihrem empfindlichen Zahnfleisch mümmelte.
«Kannst du
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