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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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nichts anderes sagen?»
    «Doch, das kann ich, verdammt noch mal, das kannst du mir glauben!»
    Josef hatte den Kuchen aufgegessen, und es schien, als würde er mit leerem Mund zu seiner vollen Sprachfähigkeit zurückfinden. Er stand unvermittelt auf und stieß gegen den Tisch, dass die Kaffeetasse umfiel und sich ihr Inhalt über die gestickte Decke ergoss.

    «Maren Kirstine!», brüllte der Mann, den wir nach einem großen Gebiet der afrikanischen Landmasse nannten. «Maren Kirstine! Was, zum Teufel, machst du denn da für einen Kaffee! Der ist ja dünn wie Pisse! Ich will einen Kaffee, wie es sich für Männer gehört!»
    Mit der Kaffeetasse in der Hand zog er die Küchentür auf und schloss sie hinter sich. Man hörte das Klirren, als er die Tasse auf den Boden warf.
    Albert starrte auf die Tür. Er wirkte, als hätte er einen Entschluss gefasst. Dann erhob er sich und verließ das Haus.
     
    Am nächsten Tag versenkte er James Cooks Kopf im Meer.
    Die Untiefe Mørkedybet stellte eine passende Ruhestätte für den großen Entdeckungsreisenden dar. Hier waren so viele andere Weltreisen begonnen worden, wenn die Marstaler Flotte mit dem ersten Frühjahr auslief. Der Friedhof war einfach zu unsicher, und Abildgaard hatte sicher auch nicht die Nerven dazu.
    Albert kam auf die Idee, Knud Erik auf James Cooks letzte Reise einzuladen. Den Schrumpfkopf hatte er ihm nie gezeigt. Das sei nichts für ein Kind, dachte er immer. Nun hatten sich seine Bedenken erübrigt. Er erzählte dem Jungen Schreckensberichte über sinkende, brennende Schiffe, und Knud Erik liebte diese Geschichten. Sicherlich würde er auch einen Spukkopf zu schätzen wissen.
    Der eigentliche Anlass, den Jungen mitzunehmen, war allerdings, dass er dem Schrumpfkopf gern ein paar Worte mit auf den Weg geben und Knud Erik als Zuhörer dabeihaben wollte. James Cooks Geschichte besaß eine Moral, glaubte er. Doch je länger er darüber nachdachte, desto größer wurden seine Zweifel, worin diese Moral eigentlich bestand.
    Auf seinen ersten beiden Reisen hatte James Cook die Eingeborenen, denen er begegnete, mit Respekt behandelt. Er ging mit ihnen wie mit seinesgleichen um. Aber sie lohnten es ihm mit Geringschätzung. Dann lernte er aus seinen Fehlern und wurde brutal und gefühllos. Im Grunde endete er wie Josef Isager und die Weißen in Afrika.
    Wo war das Gleichgewicht in James Cooks Leben?
    Auf einem Schiff hatte der Kapitän die Aufgabe, die Balance zu halten. Doch die Welt war kein Schiff, sondern weitaus größer. Wo befand sich das Gleichgewicht in der Welt?

    Wusste er es überhaupt? Hatte er etwas gefunden, was er einem siebenjährigen Jungen weitergeben konnte?
    James Cook hatte unter einem ungeheuren Druck gestanden, musste sich und anderen stets seinen Wert beweisen. Und obwohl Cook der große Kartograf des Stillen Ozeans war, gab es in seinem eigenen Leben keine Karte, nach der er navigieren konnte.
    Albert hatte nach einem Vater gesucht und ihn nicht gefunden. Er hatte seinen Weg selbst finden müssen, und dies galt auch für Knud Erik. Das konnte er sagen. Er konnte natürlich auch gar nichts sagen. Vielleicht lief es ja auf dasselbe hinaus.
    Trotzdem nahm er den Jungen mit.
    Er hatte den Beutel mit dem Schrumpfkopf in eine mit Steinen gefüllte Holzkiste gelegt, die als Sarg dienen musste. Er stellte die Kiste zwischen sich und den Jungen auf die Ruderbank.
    «Es ist eine Überraschung», sagte er zu Knud Erik. «Wir machen sie erst auf, wenn wir dort sind.»
    Sie wechselten sich beim Rudern ab. Albert machte die längeren Schläge. Wenn der Junge an der Reihe war, legte er sich jedes Mal mit ganzer Kraft in die Riemen. Dann lagen sie bei Mørkedybet und blickten auf das flache Birkholm.
    «Von dort stammt deine Mutter.»
    Er zeigte auf den Strand.
    «Dort stand sie an einem Frühlingstag und sah deinen Vater herausgehen. Und dann hatte sie sich in ihn verliebt.»
    Jetzt dichtete er. Klara Friis hatte ihm nie von ihrer ersten Begegnung mit Knud Eriks Vater erzählt, aber der Junge nahm keinen Schaden, wenn er die Liebe auch mit Bildern und Landschaften versah.
    «Sie wusste, dass er Seemann war?»
    Albert nickte.
    «Aber wieso darf ich es dann nicht werden?»
    «Du wirst es eines Tages dürfen. Deine Mutter braucht nur ein bisschen Zeit. Sie ist noch immer traurig wegen deines Vaters.»
    Der Junge saß eine Weile still da.
    «Ich will die Überraschung sehen», sagte er dann.
    Albert öffnete die Kiste und holte den Schrumpfkopf heraus. Er

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