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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Hafeneinfahrt ruderte, flammte die erste Glut der Sonne im Nordosten auf, und das Geräusch der Ruder war weit über das Wasser zu hören.
    Nun fragte er den Jungen, ob er mitkäme.
    Die Sommerferien hatten begonnen, am nächsten Tag wartete keine Schule auf Knud Erik. Er langweilte sich an den langen freien Tagen, wenn das Wetter nicht zum Schwimmen am Strand einlud. Nach kurzem Zögern willigte Knud Eriks Mutter ein. Inzwischen war ein gewisses Band zwischen ihnen geknüpft. Er spürte es deutlich, obwohl er jeden Gedanken an die Natur dieses Bandes von sich wies. Dennoch stellte er sich immer häufiger vor den Spiegel. Und es kam vor, dass inmitten des dichten, grau gesprenkelten Barts ein Lächeln erschien. Es lag ein Wiedererkennen in diesem Lächeln. Es war ein alter Bekannter, der ihn aus dem Spiegel grüßte, ein Bekannter, den er viele Jahre nicht mehr gesehen hatte: sein eigenes jüngeres Ich.
    Er wollte den Jungen gegen Abend abholen. Dann konnte Knud Erik
auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen, bis sie gegen drei Uhr morgens gemeinsam zum Hafen aufbrachen. Klara buk dicke Pfannkuchen, als er kam. Es war ein Gericht aus der Gegend, das sie frisch zubereitete, denn die Pfannkuchen mussten heiß auf den Tisch kommen. Albert stellte sich in den Türrahmen und betrachtete sie, während sie den Teig geschickt in Achterkringeln in die große Pfanne goss. Die Hitze ließ sie rasch zu kleinen, kompakten Plinsen aufgehen, die sie, sobald sie eine goldene Farbe angenommen hatten, auf braunes Packpapier legte, damit das Fett abtropfen konnte. Knud Erik stand daneben und wartete aufgeregt auf den ersten Pfannkuchen, den er sofort mit Zucker bestreute.
    Solange sie die Pfannkuchen zubereitete, wurde kein Wort gewechselt, doch die Stille hatte überhaupt nichts Gespanntes. Er stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und bemerkte, dass er sich in der Nähe der jungen Frau wie zu Hause fühlte.
    Sie hatte sich ein Tuch um die Haare gebunden, um sie vor dem Fettdunst zu schützen. Als sich eine Locke löste und ihr in die Augen fiel, pustete sie sie zur Seite, wobei sie ihm einen amüsierten Blick zuwarf. Er lächelte sie an.
    Sie servierte Stachelbeerkompott zu den Pfannkuchen, und er wollte wissen, ob sie das Kompott selbst eingekocht habe. Sie nickte. In dem kleinen Garten hinter dem Haus gab es Stachelbeerbüsche. Selbst die schäbigsten Katen in der Stadt verfügten über einen kleinen Garten. Sie hatte weit mehr Pfannkuchen gebacken, als sie essen konnten, die Reste gab sie ihnen zusammen mit einer Schale Stachelbeerkompott in ein Küchentuch gewickelt mit.
    «Falls ihr heute Nacht Hunger bekommt», sagte sie.
    Dann wandte sie sich an Knud Erik und reichte ihm einen Wollpullover.
    «Es wird kalt draußen auf dem Wasser.»
    «Ich friere nicht», entgegnete Knud Erik in einem Ton, der zeigte, dass er sich in seiner neu erworbenen Männlichkeit gekränkt fühlte.
    «Ich nehme meinen Pullover aber auch mit.»
    Albert legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter.
    «Sag deiner Mutter auf Wiedersehen.»
    Klara stand in der Tür und winkte ihnen nach, als sie zur Kirkestræde hinaufgingen.

     
    Der Horizont leuchtete, aber die Dunkelheit hatte ihren Zenit noch nicht überschritten und hielt die letzten Sterne noch am Leben, als Albert den Jungen weckte. Er reichte ihm eine Tasse heißen Kaffee.
    «Der wird dich aufwecken.»
    Knud Erik kratzte sich mit einer Hand am Kopf, während er mit der anderen die Tasse entgegennahm.
    «Du musst pusten.»
    Der Junge pustete und spitzte zögernd die Lippen, bevor er schlürfend den ersten Schluck trank. Er schnitt eine Grimasse. Albert nahm ihm die Tasse ab und schüttete einen Teelöffel Zucker hinein.
    «Jetzt ist er besser.»
    Der Junge trank wieder, und ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
    Er hatte in Hemd und Hose geschlafen. Albert, der seinen Islandpullover schon anhatte, zog ihm den Wollpullover über den Kopf.
    Sie machten an der Prinsebro die Leinen los und begannen die Hafeneinfahrt hinauszurudern. Der Junge kauerte auf der Ruderbank und zitterte vor Müdigkeit und Kälte.
    Albert gab ihm einen Riemen.
    «Hilf mir ein bisschen», sagte er.
    Der Junge stellte sich an die hintere Ruderbank. Dann tauchte er den Riemen ins Wasser und begann ihn zwischen seinen Händen in einer rollenden Bewegung zu drehen, die den gleichen Effekt hatte wie eine Schiffsschraube. Diese Technik war ihm von Albert beigebracht worden, wir Marstaler nannten es

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