Wir Ertrunkenen
schönen Nutzen hat Knud Erik von deiner Gesellschaft gehabt!»
Am Fenster tauchte der Junge wieder auf.
«Wirst du da wohl verschwinden!», schrie sie.
«Papa», sagte Edith wieder.
Klara Friis drehte sich um und knallte die Tür zu.
Er grüßte mit dem Hut die geschlossene Tür, dann machte er kehrt und ging die Snaregade hinunter. Ihm war, als spürte er den Blick des Jungen im Rücken.
Es fiel ein schwerer Novemberregen. Ein kalter Tropfen traf ihn in den Nacken und rann unter sein Halstuch.
Albert schloss die Haustür auf, wanderte in den Zimmern umher und schaltete das Licht an. Er war nervös und wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte. Er stieg nach oben und trat auf den Balkon. Noch immer hatte er seinen Mantel an. Er spürte, wie der Regen sein Haar nass werden ließ. Er schaute hinüber zur Mole. In der Dämmerung flimmerte die lange Feldsteinmauer vor seinem Blick und wirkte, als wäre sie aus Nebelschwaden erbaut.
Er ging wieder hinein und ließ sich von seiner Haushälterin eine Kanne Kaffee bringen. Dann setzte er sich in den Erker. Draußen war es dunkel geworden. Ihm war, als hielte er die Luft an, und wenn er wieder zu atmen begänne, würde etwas Gewaltiges und Unvorhersehbares geschehen. Möglicherweise würde er anfangen zu schreien, zu weinen
oder etwas ganz anderes tun, wozu nicht einmal er die Phantasie besaß, um es sich vorzustellen.
Ihn erfasste ein Gefühl, für das er ganz zurück in seine Kindheit musste, um sich daran zu erinnern. Er rief sich das Gefühl ins Gedächtnis, das er gehabt hatte, als er am Fuß der Steilküste bei Drejet stand und entsetzt den kleinen Karo betrachtete, der mit gebrochenem Rückgrat zwischen den Steinen am Strand lag. Er hatte versucht, ihm das Fell zu streicheln, und gehofft, diese Zärtlichkeit könne ihn wieder gesund werden lassen. Doch das Gefühl, dass etwas Irreparables geschehen war, hatte sich in ihm mit einem langen und erschreckenden Echo festgesetzt. Und nun hörte er es wieder.
Albert trank einen Schluck heißen Kaffee, wie immer ohne Zucker, und versuchte, sich zu beruhigen. Er musste seine Gedanken ordnen. Er hatte nie in einer Ehe gelebt und somit auch keine Erfahrung mit weiblichen Gefühlsausbrüchen. Seine Beziehung zu Cheng Sumei wurde von etwas beherrscht, das er scherzhaft eine Übereinstimmung der Seelen nannte, und von dieser Art Übereinstimmungen hatte es weit mehr gegeben, als zwischen ihm und der jungen Seemannswitwe existierten. Hatte Klara es wirklich so gemeint? Ging es bei ihrer Wut tatsächlich um sein Verhalten gegenüber Knud Erik? Herrgott, alle Jungen fielen doch früher oder später einmal ins Wasser. Dann wurden sie herausgezogen, und das war’s.
Auf jeden Fall glaubte er nicht, dass der Junge das Problem war. Es musste etwas zwischen Klara und ihm sein. Doch was es war, wollte ihm einfach nicht aufgehen. Eigentlich hatte er gedacht, das Problem liege bei ihm. Er wollte sie und wollte sie doch wieder nicht. Sie war das verstörende Element seines Lebens.
Doch sie hatte ihn abgewiesen. Wäre es nicht am klügsten, wenn er die schmerzhafte Abfuhr, die ihm gerade erteilt worden war, akzeptierte?
Aber was geschah dann mit dem Jungen?
Könnten die beiden Dinge doch nur auseinandergehalten werden. Aber sie waren hoffnungslos miteinander verbunden, und er selbst hatte für diese Verknüpfung gesorgt.
Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Sie führten nirgendwohin. Er trank Kaffee und starrte hinaus in die Dunkelheit.
Die Haushälterin kam herein und fragte, wann er das Abendessen
serviert bekommen wolle. Er hatte keinen Appetit und bat sie, damit bis acht zu warten. Er zog sich den Mantel an und ging wieder hinaus in den Novemberregen. Einige Minuten später stand er vor dem Haus der Witwe Rasmussen in der Teglgade. Es war so lange her, seit er sie das letzte Mal besucht hatte. Was dachte sie wohl über ihn? Sie waren Vertraute gewesen, aber zu ihr zurückkehren konnte er nicht. Sie würde ihn prüfend ansehen und in ihrer direkten Art nach seinen wunden Punkten fragen. Mit der besten Absicht, darüber gab es gar keinen Zweifel. Doch hier halfen keine guten Absichten. Er fühlte sich vollkommen verloren.
Er bog in den Filosofgang. Dann lief er am Hafen in südliche Richtung und stand bald vor Klara Friis’ Haus. Es brannte Licht, doch die Scheiben waren von der feuchten Wärme beschlagen, und er konnte nicht hineinsehen. Unschlüssig blieb er vor dem Haus stehen, ängstlich, dass ihn jemand beobachten
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