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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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eine knallgelbe Luftschlange, an der sie mit ihrer klauenähnlichen Hand ununterbrochen zog, so dass es vor dem teerschwarzen Maul zu blitzen schien. Ein Wilder Mann hatte seine Keule an der Wand abgestellt. Eine Chinesin, deren schräge Augen mit schwarzer Farbe auf eine gelbe Pappmaske gemalt waren, zog ein paar Stricknadeln aus dem wollenen Garnknäuel, das sie auf ihrem Kopf trug, und klapperte damit. In einer Ecke des Wohnzimmers grunzte vergnügt ein rosa Schwein auf zwei Beinen, während ein Pirat danebenstand und drohend seinen Säbel schwang, als bereitete er sich vor, es mit einem Hieb zu schlachten.
    «’n Abend, Albertchen», tönte es wie aus einem Mund.
    Dem kleinen Albert hatte es die Sprache verschlagen, und das war ein schlechtes Zeichen.
    Die Haushälterin schenkte von der Punschbowle ein und reichte uns die Gläser. Wir hatten vor dem Mund kleine bequeme Löcher in die Masken und Strümpfe gebohrt. Strohhalme brachten wir selbst mit, so dass niemand die Maske abnehmen musste und so verriet, wer sich dahinter versteckte.
    Schließlich war Fasching.
    Es gab überwiegend Damen an diesem Abend, massive, breitschultrige Frauen mit enormem Busen, durch deren Gewicht sie eigentlich hätten vornüberkippen müssen; doch stattdessen wurden die Brüste herumgeschoben und hochgehoben, als würden sie nicht mehr als ein oder zwei mit Daunen gefüllte Kissen wiegen. Sie trugen Beiderwandröcke mit Samtbändern, stramme Blusen mit Abnähern, bestickte Schürzen und lange Schals, die sich um den Kopf, die Brust und die Lenden wickeln ließen. Alles direkt aus der Wühlkiste von Hausierern, jahrelang aufbewahrt, immer wieder geflickt und an ebendiesem Abend hervorgeholt.
    Wir wiegten uns in den Hüften und ließen die Hände in einer Ausgelassenheit herumflattern, die nicht nur an den vielen Gläsern Punschbowle lag, die wir im Lauf des Abends schon geleert hatten, sondern auch an diesem merkwürdigen Gefühl von Leichtigkeit, das sich einstellt, wenn ein Mann sich Damenkleider anzieht. Verborgen unter
Hauben, Kapotthüten, Mützen, Lampenschirmen und Perücken, mit Masken, die aus nichts anderem bestanden als rot gemalten Schmollmündern und aufgerissenen Augen mit langen schwarzen Wimpern, die uns wie Fächer von der Stirn standen, lehnten wir uns die ganze Zeit an die nächste männliche Brust und gurrten wie die Tauben. Die mit hohen, verzerrten Fistelstimmen gemachten Bemerkungen kamen direkten Zoten so nah, wie es aus dem Mund einer ehrbaren Dame überhaupt nur möglich schien.
    Die Derbste an diesem Abend war die Braut. Sie trug einen Unterrock und hatte sich einen fleischfarbenen Hüfthalter um die massive Taille geschnallt. Unter der schneeweißen Seidenbluse schaukelten zwei Brüste, jede in eine andere Richtung. Sobald sie ihren Oberkörper kokett bewegte, stießen die Brüste mit einem hörbaren Klatschen zusammen. Die dicken Zöpfe ihrer blonden Perücke standen ihr vom Kopf ab. Der gestärkte Schleier hing in der Luft wie ein Schneegestöber aus Spitze.
    Sie ging auf Kapitän Madsen zu und kraulte ihn am Ohrläppchen. Mit einer gereizten Bewegung wandte er den Kopf ab.
    «Was macht die Liebe, Albertchen?», fragte die Braut mit ihrer hohen, klagenden Stimme, die die Frauen auf dem Land früher bei Beerdigungen hören ließen.
    «Wird’s denn noch was mit der Hochzeit?»
    Kapitän Madsen schaute mit einem Gesichtsausdruck, als handelte es sich um eine Geduldsprobe – als würde alles von allein verschwinden, wenn er nur lange genug wartete.
    Die Braut legte eine große Hand, die in einem Handschuh steckte, auf seinen Schenkel, nahe am Schritt.
    «Kneift’s?»
    Einen Augenblick fiel sie aus der Rolle und ließ ein lautes wieherndes Gelächter hören.
    Das Schwein riss sich in der Ecke vom Piraten los und baute sich vor Albert auf. Aus seinem rosa Bauch ragten zwei spitze Brüste heraus, steif und unbeweglich wie anklagende Zeigefinger.
    «Hast du denn keinen Appetit, Albertchen?», sagte das Schwein.
    Die Braut produzierte Kussgeräusche. Das Schwein bot grunzend seinen Rüssel an.
    Es war Fastnacht, alles nur Spaß.

    Die Haushälterin war gegangen und die große Punschbowle auf dem Tischaufsatz beinahe leer.
    «Albertchen», wiederholte das Schwein, das offenbar eine poetische Ader hatte. Jedenfalls begann es, ein Gedicht auf unseren Gastgeber zu improvisieren.
    «Du hast keinen Appetit?
Das ist aber gar nicht nett.
Ist das Mädel dir zu kalt?
Oder du schlichtweg zu alt?»
    Kapitän Madsen stand

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