Wir Ertrunkenen
noch immer wie versteinert da und blickte auf den Boden.
Das Schwein hob die Hand wie ein Dirigent, der um die Aufmerksamkeit des Orchesters bittet. Im Chor wiederholten wir den Schmähvers. Es kam ganz von allein. Wir waren wirklich in guter Stimmung.
Albert sah auf. Seine große Faust schoss mit einer Geschwindigkeit hervor, die wir einem Mann niemals zugetraut hätten, den wir gerade noch wegen seines hohen Alters verhöhnt hatten. Er traf das Schwein mitten auf den Rüssel, der vollkommen eingedrückt wurde. Obwohl die Maske den Schlag abmilderte, war er dennoch hart genug, um das Schwein rücklings durch das Zimmer und gegen den Aufsatz mit dem leeren Bowletopf taumeln zu lassen, der klirrend zu Boden fiel. Das Schwein blieb inmitten der Glassplitter liegen. Blut lief aus einem Riss seines demolierten Rüssels.
Die Braut, die noch immer neben Kapitän Madsen stand, schlug unserem Gastgeber mitten ins Gesicht. Sein Hinterkopf knallte an die Wand, und er schwankte. Dann fand er sein Gleichgewicht wieder. Er starrte mit einem leeren Blick vor sich hin, während er einen Finger prüfend über die Unterlippe gleiten ließ, die aussah, als wäre sie aufgeplatzt.
Die Braut machte Anstalten, ihm noch einmal einen Schlag zu versetzen, aber wir griffen ein und zogen sie fort. Die Geschichte war vollkommen außer Kontrolle geraten, nun musste es ein Ende haben. Hatten wir über die Stränge geschlagen? Aber das war doch der Sinn von Fastnacht. Es gab keine Grenzen, die man nicht überschreiten durfte. Alles war an diesem Abend erlaubt und, wenn man es genau betrachtete,
hatten wir nichts anderes getan als in jedem Jahr; außerdem hatten wir auf witzige Weise ein paar Wahrheiten ausgesprochen. Es gab keinen Grund auszurasten.
Wir stellten den umgestürzten Aufsatz wieder auf. Bei dem zerbrochenen Bowlegefäß war nichts mehr zu machen. Das musste die Haushälterin erledigen. Dann trugen wir das bewusstlose Schwein über den Flur und die Treppe zur Prinsegade hinunter.
Es regnete, und in dem kalten Februarregen begannen unsere Masken sich aufzulösen. Wir drehten uns um und sahen hinauf zum Erker. Albert stand dort und schaute auf uns herab.
Die Braut winkte dem dunklen Schatten im Fenster.
«Ist das Mädel dir zu kalt? Oder du schlichtweg zu alt?», rief sie.
Einer ihrer Ärmel war zurückgeschoben und entblößte einen kräftigen Unterarm mit einer Tätowierung, auf der ein Löwe sich zum Angriff duckte. Die Worte konnten wir in der Dunkelheit nicht lesen.
DER POLARSTERN
A m Vormittag hatte es geregnet, aber dann war das Wetter umgeschlagen. Die graue Wolkenschicht, die über der Insel hing, war einem hohen, blauen Himmel gewichen, der davor warnte, dass es Frost geben würde.
Albert hatte blinde Verzweiflung gepackt.
«Du schämst dich wegen mir!», hatte Klara ihm nachgerufen. Nein, er schämte sich nicht wegen ihr. Er selbst war es, über den er sich schämte. Er musste fort, spazieren gehen, um zu einer Klärung zu kommen, zu einer unzweideutigen Aussage, einem Ja oder Nein, mit dem er dann zu leben hatte. Nur eines wusste er genau: Er wollte das Ja, aber er konnte es nicht. Und er konnte das Nein, aber er wollte es nicht. Hier galt nicht: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Hier war alles Wille, doch der Weg führte ins Leere. Er war zu alt. Sie hatten ja recht, die Masken an diesem peinlichen Fastnachtsabend. Darum hatte er zugeschlagen. Weil sie die Wahrheit gesagt hatten. Mit einer so großen Veränderung seines Lebens kam er nicht zurecht.
Er registrierte es mit einer hartnäckigen Verbitterung, einer ohnmächtigen Wut, die er allerdings nirgendwo auslassen konnte, die sich nur nach innen richtete.
Er ging zum Strand. Ein Stück weiter draußen tauchte eine Gestalt auf. Als er näher kam, sah er, dass es Herman war. Er bereitete sich auf eine Konfrontation vor. Er hatte durchaus erraten, wer an jenem Abend, an dem man ihn gedemütigt und in seinem eigenen Haus geschlagen hatte, die Braut gewesen war.
Trotz der Kälte trug Herman lediglich ein Hemd, das bis zum Gürtel
offen stand. Man konnte seine hängende, behaarte Wampe sehen, die durch das mehrmonatige Wohlleben im Hotel Ærø nicht kleiner geworden war. Er hatte vor Kälte rot glühende Wangen und starrte mit einem glasigen Blick vor sich hin. Er lief an Albert vorbei, ohne ihn zu bemerken. Es war, als hätte er jenseits der Häuser ein fernes Ziel und bereitete sich darauf vor, alle Mauern zu durchbrechen, die sich ihm in den Weg
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