Wir Ertrunkenen
zusammenbleiben. Nur zusammen kommt ihr durch. Allein seid ihr verloren, eine leichte Beute für die U-Boote, ohne Schutz, ohne jemanden, der euch aufnimmt, wenn ihr versenkt werdet.
Wie oft hatte die Besatzung der Nimbus diese Anweisung nicht von einem vorbeifahrenden Zerstörer über Megafon gehört, wenn sie trotz Antons Anstrengungen im Maschinenraum zurückfielen. «Stragglers will be sunk.»
Sie wussten, dass es keine Warnung war, sondern ein Urteil, ein Abschied, der nicht von der üblichen aufmunternden Versicherung begleitet wurde, man würde sich wiedersehen.
Sie wussten nur eines: dass die Ladung anzukommen hatte, dass die Panzer, Fahrzeuge und Munition, mit denen ihr Laderaum gefüllt war,
auf langen Umwegen bei anderen landen würden, an weit entfernten Fronten, an denen die Kraftprobe zwischen Deutschen und Russen den Ausgang des Krieges entschied – und damit auch ihr eigenes Schicksal. Sie wussten es, aber ohne die Gewissheit, dass es sich wirklich so verhielt. Was sie sahen, waren das Meer, die angreifenden Junkers und Heinkels, die Kielwasserstreifen der Torpedos, explodierende und sinkende Schiffe, Männer, die im eiskalten Wasser um ihr Leben kämpften.
Ihr Einsatz im Krieg war wichtig. Daran mussten sie glauben. Aber in dem Moment, als sie den Befehl bekamen, ihren Platz im Konvoi aufzugeben und sich allein nach Molotovsk durchzuschlagen, begriffen sie, dass es nur ein Glaube gewesen war. Nun verloren sie ihn. An seine Stelle trat das Rätselraten über den Grund dieses verhängnisvollen Befehls; und wie immer, wenn eine Situation ungewiss und der Druck groß ist, fügten sich die Reste der Gewissheit zu einem Verdacht. Es war ein Gerücht, das jeden einzelnen Konvoi begleitet hatte, der je nach Russland gefahren war; und das Gerücht folgte den Konvois mit der gleichen Unvermeidbarkeit, wie der Rauch dem Schornstein folgt, das Kühlwasser der Schraube und der Torpedo der wertvollen Last: Sie waren lediglich ein Köder.
In einem der norwegischen Fjorde lag das fünfundvierzigtausend Bruttoregistertonnen große deutsche Schlachtschiff Tirpitz auf der Lauer. Es war das größte Schlachtschiff der Welt, eine Bedrohung für alles, was sich auf dem Nordatlantik bewegte, ein Symbol für den Traum der Nazis von der Weltherrschaft. Und vielleicht war das Schlachtschiff als Symbol am wertvollsten. Nur selten wagte es sich aus seinem Versteck zwischen den schützenden Felswänden des Fjords. Stattdessen drohte es wie der angekettete Fenriswolf mit einem Ragnarök, das niemals kam. Aber sie waren überzeugt, dass es nun geschehen würde: Der Fenriswolf würde seine Ketten zerreißen, und sie waren der Köder.
Als die sechsunddreißig Schiffe des Konvois der Befehl erreichte, die Formation aufzugeben und sich auf eigene Verantwortung nach Murmansk und den Häfen des Weißen Meeres, nach Molotovsk und Archangelsk, durchzukämpfen, wussten sie mit all der teuer erkauften Erfahrung, die Furchen in ihre Gesichter geschnitten und ihnen zu unzähligen Frostbeulen verholfen hatte, dass die Deutschen die überwältigende
Feuerkraft der Fünfzehn-Zoll-Kanonen der Tirpitz gar nicht brauchten, um dem ein Ende zu bereiten, was ehemals ein Konvoi gewesen war. Das konnten auch die U-Boote erledigen. Denn die sechsunddreißig Schiffe des Konvois sollten die Fahrt ohne die britischen Zerstörer und Korvetten fortsetzen, die sie bisher begleitet hatten. Sie waren wehrlos.
Aber nicht nur das. Ihre eigenen Beschützer hatten sie in den Hinterhalt gelockt.
Verbittert erkannten sie ihre Bedeutungslosigkeit. Sie waren entbehrlich.
Aber war es ihre Ladung denn auch? In Hvalfiorður hatte man ihnen gesagt, dass die sechsunddreißig Schiffe des Konvois insgesamt zweihundertsiebenundneunzig Flugzeuge, fünfhundertvierundneunzig Panzer, viertausendzweihundertsechsundvierzig militärische Fahrzeuge und einhundertfünfzigtausend Tonnen Munition und Sprengstoff für Russland geladen hatten. Sollte all dies geopfert werden, damit britische Flottenoffiziere sich rühmen konnten, die Tirpitz auf den Grund des Meeres geschickt zu haben?
Sie begriffen es nicht. Sie verstanden nichts von diesem Krieg, nur, dass sie sich ausschließlich auf sich selbst verlassen konnten, wenn sie überleben wollten. Nicht einmal die letzte Ehre des Soldaten, dass sein Opfer doch eine Art von Sinn ergibt, durften sie in Anspruch nehmen. Wenn sie untergingen, würden sie verschwinden, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen – als ob es sie nie gegeben
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