Wir Ertrunkenen
gefallen und aufgeplatzt. Einer der deutschen Gefangenen begann sofort, darin herumzuwühlen. Er ging offenbar davon aus, dass die Kiste Essbares enthielt, und suchte nun irgendetwas, womit er für einen Moment seinen Hunger stillen konnte. Zwei Hafenarbeiterinnen packten ihn und zogen ihn fort. Er kämpfte einen Moment, um sich loszureißen, gab dann aber auf und ließ sich widerstandslos den Kai hinunterschleppen. Die Löscharbeiten waren unterbrochen.
Die Soldatin, die noch einen Augenblick zuvor Knud Erik angestarrt hatte, brüllte einen kurzen Befehl, und die Arbeiterinnen ließen den Gefangenen los. Die Soldatin trat auf ihn zu, entsicherte ihre Maschinenpistole, die sie an einem Riemen über der Schulter trug, und feuerte aus kurzer Entfernung. Sie blieb einen Moment stehen und schaute auf den Boden, um sicherzugehen, dass die magere Gestalt nicht mehr am Leben war, die ausgestreckt vor ihr lag. Dann hob sie den Blick, und wieder starrten sie sich an. Diesmal hatte er keinen Zweifel über die Absicht ihres Blicks. Sie forderte ihn heraus.
Tagsüber blieb er immer nüchtern. Aber wenn er abends allein in seiner Kajüte saß und sein Verstand sich durch die Flasche Whisky, die vor ihm stand, langsam eintrübte, wusste er genau, wem er begegnet war. Sie war ein Todesengel und gekommen, um ihn zu holen; und auf eine widerwärtige Weise, gegen die er sich nicht zur Wehr setzen konnte, erregte ihn dieser wahnsinnige Einfall. Zum ersten Mal seit den Bombennächten von London spürte er eine Erektion.
Die Stadt lag ein paar Kilometer vom Hafen entfernt und bestand lediglich aus ein paar Holzhäusern rund um einen Platz. Wenige hundert Meter entfernt begann die Wildnis, und die Straßen, die wie Speichen an einem Rad von dem Platz ausgingen, führten nirgendwohin.
Abends suchten sie den International Club auf. Das Erste, was sie dort sahen, war ein schlecht ausgestopfter, mager wirkender Bär, der auf den Hinterbeinen stand; aufrecht und mit einem eine Reihe gelblicher Zähne
entblößenden offenen Maul. Die Eckzähne waren ausgeschlagen oder absichtlich abgebrochen, als ob jemand fürchtete, dass der Bär plötzlich zum Leben erwachen und die Gäste des Klubs angreifen könnte.
Hinter einem Tisch in der Ecke saß ein kahlköpfiger Mann in einem weißen Hemd und roten Hosenträgern, der eine Kasse vor sich hatte. Neben ihm lag eine Krücke. Auf die aus ungehobelten Brettern zusammengezimmerte Bühne hatte ein Ziehharmonikaspieler seinen Stuhl gestellt; auch er war außerstande, sich ohne Krücke zu bewegen. Beide waren um die fünfzig und trugen etliche Orden auf der Brust. Sie schienen die einzigen Männer zu sein, die die Besatzung der Nimbus je im International Club sah.
Inzwischen hatten sie sich einen Überblick über die Verluste verschafft, die der Konvoi erlitten hatte. Von den sechsunddreißig Schiffen hatten zwölf ihr Ziel erreicht, die meisten waren nach Murmansk oder Archangelsk gefahren; die Nimbus war das einzige Schiff des Konvois in Molotovsk, und das bedeutete, dass sie in einer Stadt, die von Frauen bevölkert war, konkurrenzlos waren. Sie sahen andere Männer auf der Straße, aber wie der Kassierer und der Musikant im International Club waren es Krüppel oder weißhaarige Greise.
Kinder gab es nur wenige. Sie kamen zu ihnen, um Zigaretten oder Schokolade zu erbetteln. Ihre seltsam altklugen Gesichter leuchteten in einem beflissenen Lächeln auf.
« Fuck you, Jack!», sagten sie.
Es war ein Gruß, den sie von englischen Seeleuten gelernt hatten.
« Fuck you, Jack!», grüßte Wally zurück und steckte ihnen eine Zigarette zu.
Das Bier im Klub schmeckte nach Zwiebeln, also hielten sie sich an den russischen Wodka, der stark wie Fensterspiritus war. Setzte man sich, stiegen aus den roten Plüschsofas, die zusammen mit Tischen ohne Tischdecken die Einrichtung des Klubs ausmachten, jedes Mal Staubwolken auf. Auch der Boden starrte vor Dreck, und Anton behauptete, dass Frauen keine Lust mehr hätten, den Fußboden zu schrubben, wenn sie erst einmal eine Maschinenpistole in die Hand bekämen.
Die Besatzung der Nimbus saß in der einen Ecke des Klubs, die Frauen in der anderen. Sie hatten ihre Arbeitskleidung abgelegt und trugen stattdessen Kleider, die aussahen wie umgearbeitete Kittel. Das Haar
hatten sie aufgesteckt, aber ihre breiten, herzförmigen Gesichter wirkten ebenso farblos wie bei Tageslicht. Schminke gab es nicht.
Es ging das Gerücht, dass sie allesamt Spioninnen seien, die
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