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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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der Dunkelheit in sich hinein.
    «Ich weiß genau, wer Jim ist. Aber du würdest mir trotzdem nicht glauben.»
    «Komm raus damit. Ich glaube dir. Aber sag mir, warum du mir plötzlich die Wahrheit erzählen willst.»
    «Na, dann hab ich wohl deinen Segen. Das ist ja noch mal gut gegangen. Tja, warum ist mir mit einem Mal danach, dir die Wahrheit über Jim zu erzählen? Weil die Geschichte einfach zu gut ist, um nicht darüber zu reden. Das ist doch das Seltsame an einer guten Geschichte. Man hat keine rechte Freude daran, wenn man sie für sich behält. Also hör zu: Jims richtiger Name ist …»
    Er machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen, «…James.»
    Ich sah ihn enttäuscht an. «Na und?»
    Jack Lewis lachte.
    «Ich denke, der Nachname wird dir ein wenig mehr sagen als der Vorname. Cook. James Cook.»
    Ich rang nach Luft.
    «Der James Cook?»
    «Ja, der James Cook. Der Kapitän der Resolution und der Discovery. Der Entdecker der Freundschaftsinseln, der Sandwichinseln und der Gesellschaftsinseln. Der James Cook.»
    «Aber das ist unmöglich!»

    «Zeig mir doch sein Grab. Erzähl mir, wo liegt er denn begraben?»
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste es nicht.
    «James Cook wurde auf Hawaii getötet. In der Kealakekuabucht. Er war ein strenger, aber gerechter Mann. Das muss man sein, wenn man mit den Kanaken umgehen will. Streng. James Cook hat einmal einem Kanaken ein Ohr abgeschnitten, weil er einen Sextanten gestohlen hat.»
    Er sah mich prüfend an, um sich zu versichern, dass ich verstanden hatte, was er mir gerade erzählte. Ich hatte es verstanden. Einem seiner eigenen Männer fehlte ein Ohr, und ich war sicher, dass Jack Lewis, was die Behandlung von Kanaken anging, sich James Cook zum Vorbild nahm.
    «Auf Hawaii erschoss James Cook einen Häuptling, der versuchte, ihm ein Boot zu stehlen. Tausende von Eingeborenen umringten ihn und seine Männer, aber er wäre schon klargekommen. Die Eingeborenen hielten ihn für ihren verschwundenen Gott Lono, der zurückgekehrt war.
    «Er hätte den Häuptling nicht erschießen sollen.»
    «Ich dachte mir, dass du das sagen würdest. Doch es verhält sich genau umgekehrt. Es war notwendig, den Häuptling zu erschießen. Cook statuierte ein Exempel. Er zeigte seine Stärke. Seine Dummheit war, dass er auch seine Schwäche zeigte. Die Eingeborenen wagten nicht, ihn anzugreifen, trotz ihrer Überzahl. Aber dann schoss einer von ihnen einen Pfeil ab. Vielleicht war es ein Versehen. Niemand weiß es. Doch der Pfeil traf James Cook. Es war keine sonderlich ernste Wunde, daran ist er nicht gestorben. Er starb, weil er eine Dummheit beging.»
    Wieder sah Jack Lewis mich auf diese Weise an, wie er es immer tat, wenn er mich erziehen wollte. Obwohl ich nicht ahnte, worin James Cooks Dummheit bestand, wusste ich, dass nun die eine oder andere zynische Bemerkung über die Erbärmlichkeit der Menschen kommen würde, und ich irrte mich nicht.
    «Cook begann zu schreien, als ihn der Pfeil traf. In den Augen der Kanaken war er ein Gott, und Götter empfinden keinen Schmerz. Sein Schrei war das Signal zum Angriff. Fünfzehntausend Mann warfen sich auf ihn und zerrissen ihn buchstäblich in kleine Stücke. Sein Fleisch wurde über dem offenen Feuer gebraten, mit Ausnahme von neun Pfund,
die die Eingeborenen zurück zur Resolution schickten. Sein Herz wurde an einer Hütte aufgehängt, wo es drei Kinder entdeckten, die es in dem Glauben verspeisten, dass es das Herz eines Hundes sei. Später fanden seine Offiziere ein paar seiner Knochen, die sie im Meer versenkten. Aber sein Kopf wurde nie gefunden.»
    «Und wie hast du ihn bekommen?»
    «Das war nicht einfach. Die Kanaken behielten das Geheimnis seiner Existenz für sich. Er wurde zu einer Trophäe in ihren Stammeskriegen. Schließlich verschwand Cooks Kopf aus Hawaii und begann, überall im Stillen Ozean aufzutauchen – ungefähr im Kielwasser der Route, die sein Besitzer viele Jahre zuvor bereits zurückgelegt hatte. Irgendwann gab es gerüchteweise nicht weniger als fünf Köpfe im Gebiet des Stillen Ozeans, die alle James Cook gehört haben sollen. Ich allerdings fand den richtigen. Ich hatte meine Informanten, und schließlich spürte ich ihn auf Malaita auf. Der Häuptling, der ihn mir verkaufte, war ein gebildeter Mann, der Englisch sprach und las. Er hatte es bei einem Missionar gelernt, den er später mit großem Appetit verspeiste; jedenfalls hat er es mir so anvertraut. Er wusste genau, wer Cook gewesen ist und wie

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