Wir Ertrunkenen
unsichtbar zu machen. Sie sahen nicht aus, als würden sie diesen sonderbaren Befehl hinterfragen wollen. Wahrscheinlich nahmen sie nicht zum ersten Mal
an dieser Zeremonie teil – oder was immer es auch war, das ich beobachten sollte.
Jack Lewis gab mir ein Zeichen, dass wir uns hinter dem Deckhaus verstecken sollten. Er legte einen Finger an die Lippen, und mir fiel auf, dass er angespannt war und sein Finger auf dem Abzug des Gewehrs ruhte. Wir hörten das Geräusch von Füßen auf Deck sowie Stimmen. Die freien Männer kamen aus dem Laderaum. Mit einer Handbewegung bedeutete mir Jack Lewis, dass ich mich noch immer nicht bewegen dürfe. Wir standen eine Weile da und horchten.
Dann vernahm ich ein Platschen und sah, wie sich auf Jack Lewis’ Gesicht ein Lächeln ausbreitete, als ob alles nach einem festgelegten Plan verliefe. Er nickte und lachte mich lautlos an. Ein weiteres Platschen war zu hören, dann noch eines.
Jack Lewis zählte, denn er bewegte die Lippen und krümmte einen Finger nach dem anderen. Als er alle Finger einer Hand viermal gekrümmt hatte und somit bis zur Zahl zwanzig gekommen war, schlug er mir übermütig auf die Schulter.
«Na, mein Junge», sagte er, «irgendwelche Fragen?»
Ich schaute über die Lagune, wo die Männer, die noch bis vor ein paar Minuten im Laderaum eingesperrt gewesen waren, nun auf den Strand zuschwammen. Sie erreichten ihn nahezu gleichzeitig und verschwanden, ohne sich umzusehen, im Dickicht des Waldes.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, war unsicherer denn je. Jack Lewis betrachtete mich mit schief gelegtem Kopf.
«Sieh hin», sagte er, «freie Männer. Gab es hier etwa jemanden, der sie daran hinderte fortzulaufen?»
«Du bist ein praktischer Mann, Mr. Lewis», sagte ich, «und ich verstehe nicht, warum du diese Männer so viele Wochen durchgefüttert hast, nur um sie dann verschwinden zu sehen. Was bekommst du dafür? Und was sollen die Männer auf einer menschenleeren Insel?»
«Das ist wohl ihre Sache. Ich weiß nicht, was sie hier sollen, und es geht mich auch nichts an. Ich weiß nur, dass ich ihnen die Wahl gelassen habe. Du hast ja mit eigenen Augen gesehen, wie ich befohlen habe, die Luken zu öffnen.»
«Wer würde wohl nicht abhauen, wenn die Alternative wäre, in einem dunklen Loch zu verschmachten. Ist das eine Wahl?»
«Es ist eine Wahl», erwiderte Jack Lewis. «Und ich habe sie ihnen gelassen. Aber nun haben wir genug geredet, wir müssen mit unserer eigentlichen Aufgabe beginnen.»
Er ging zum Logis und rief den Kanaken einen Befehl zu, die sofort an Deck erschienen und anfingen, ein Boot klarzumachen.
«Ich finde, du solltest mit uns kommen. Es wird dir ein lehrreiches Erlebnis sein.»
Er hängte sich zusammen mit einem Pulverhorn und einem Ladestock einen altmodischen Vorderlader über die Schulter. Ich blickte ihn verwundert an. In der Hand hielt er eine Winchester.
«Frag mich nicht», meinte er grinsend. «Ich bin ein abergläubischer Mann. Die alte Büchse ist mein Talisman.»
Zusammen mit zwei Kanaken, die die Ruder bedienten, stieg ich ins Boot. Am Strand war niemand zu sehen, aber wie sollte es auch anders sein bei einer menschenleeren Insel.
Wir zogen das Boot an Land. Jack Lewis schritt den Strand ab, während er in das Walddickicht spähte, als ob er jemanden suchte. Dann winkte er mich zu sich. Hinter einem blühenden Hibiskusbusch fiel mein Blick auf eine Reihe von Kalebassen. Im Sand daneben lag ein Stück Leder, auf dem offenbar kleine Steine angehäufelt waren, aber ich stand zu weit entfernt, um richtig sehen zu können.
Jack Lewis ging auf das Stück Leder zu. Mit Hilfe einer Lederschnur band er es zu einem Säckchen zusammen, während die Kanaken begannen, die Kalebassen zum Boot zu tragen. Man hörte es schwappen, und ich begriff, dass sie mit Wasser gefüllt waren. Jack Lewis wog den Beutel in der Handfläche. Ich hörte ein Rasseln, und wenn sein maskenartiges Gesicht irgendwann einmal imstande gewesen sein sollte, ein Gefühl wie Glück auszudrücken, dann in diesem Augenblick.
Im selben Moment hörten wie einen Schuss über die Insel krachen.
Jack Lewis erstarrte.
«Zum Teufel!», entfuhr es ihm. «Zum Teufel, verdammt noch mal!»
Er schloss den Lederbeutel und wandte sich zu mir.
«Schnell!», befahl er. «Nimm so viele Kalabassen, wie du tragen kannst!»
Er schrie den Kanaken einen Befehl zu, die sofort begannen, das Boot
ins Wasser zu schieben. Während er lief, behielt er den Lederbeutel
Weitere Kostenlose Bücher