Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
sie die Bilder nicht zurück. Märtha sank zurück in den Sessel und schloss die Augen. Das funktionierte meist, wenn sie eine Nuss zu knacken hatte, doch dieses Mal sah es wirklich schlecht aus. In der Ferne hörte sie Katja telefonieren und ein paar Männer, die sich über Fußball unterhielten. Dann schnappte sie wieder Wortfetzen von Katjas Gespräch auf. Internetprobleme … das Einwählen funktionierte nicht … Service … Sie musste lächeln. Gut, gut, dann könnte sie Anna-Greta trösten. Daraufhin nickte sie ein und träumte, dass sie die Sparkasse in Ystad überfiel. Aber gerade, als sie mit dem Geld im Gepäck die Fähre nach Polen betrat, erwachte sie. Die Tür zu Dolores’ Zimmer wurde mit einem Knall aufgeschlagen, und die Alte begann wie üblich, im Kreis zu gehen und zog einen Wagen hinter sich her.
»Mein Sohn ist der beste der Welt«, summte sie und strahlte über das ganze Gesicht. »Er ist über die Weltmeere gesegelt und hat mich zum Millionär gemacht.« Und dann zeigte sie auf den Einkaufstrolley und lachte. Eine rosa Decke und ein Strumpf hingen halb aus der Öffnung, und ein Schal schleifte über den Boden. Unter dem Verdeck sah man zusammengeknülltes Zeitungspapier.
»Wie schön, Dolores«, antworteten die anderen im Saal.
»Aber jetzt ist er ausgemustert worden. Er will nämlich bei seiner Mutter sein, wisst ihr. Gestern kam er von Helsinki zurück.« Und dann sang sie ein paar Zeilen, ging noch ein paar Runden im Kreis, setzte sich an den Tisch und nahm sich ein Stück Kuchen. Märtha mochte Dolores. Sie war immer gut gelaunt und wollte niemandem etwas Böses, doch im Moment war ihr die alte Frau zu anstrengend. Märtha versank noch tiefer und schloss die Augen erneut. Der Finderlohn, wie kamen sie an den Finderlohn?
Märtha erwachte mit einem Ruck. Wieder einmal hatte sie einen sonderbaren Traum gehabt. Da hatte sie Dolores gesehen, die mit einem Einkaufstrolley auf dem Autodeck umherspazierte. Sie ging im Kreis und sang ein Lied von ihren Millionen. Dann lief sie auf die Rampe vor, so weit, dass sie beinahe ins Wasser gestürzt wäre. Da erwachte Märtha und sah sich verdutzt im Bett um. Es war dunkel, und bis zur Morgendämmerung dauerte es noch ein paar Stunden. Aber ihr Hirn hatte wieder gearbeitet. Einkaufstrolley und Finnlandfähren …
Beim Frühstück setzte sich Märtha mit ihrer Tasse Tee neben Dolores. Eine Weile unterhielten sie sich übers Wetter und das Essen, bis Märtha meinte, die Zeit sei reif.
»Arbeitet dein Sohn eigentlich schon immer auf dem Schiff?«
»Immer schon. Er ist so ein fleißiger Kerl. Er arbeitet auf dem Autodeck auf einer Fähre.«
»Gut, gut. Besser, als Kapitän zu sein. Da trägt man so viel Verantwortung, und wenn das Schiff auf Grund läuft, ist man geliefert«, sagte Märtha einschmeichelnd.
»Er ist noch nie auf Grund gelaufen.«
»Nein, das war nicht so gemeint, kleine Dolores.«
»Ich bin keine Kleine. Nur weil man älter wird, muss man noch lange nicht klein genannt werden.«
Märtha verstummte. So gut lief das Gespräch nicht.
»Kleines Muttchen ist noch schlimmer, findest du nicht auch?«
Dolores gab keine Antwort, ihre Stimmung war mäßig. Märtha versuchte es noch einmal.
»Was für einen schönen Einkaufswagen du hast, mit blauem Griff und so.«
»Den hat mir mein Sohn geschenkt. Ja, der kümmert sich um seine alte Mutter.«
Märtha rutschte etwas näher und schielte verstohlen auf den Wagen. Ein Urbanista. Ein schwarzer, der gleiche, in dem sie das Lösegeld transportiert hatten. Aber der hier war dreckig und abgewetzt und hatte einen blauen Griff. Wobei man so etwas auch nachträglich mit Spray färben konnte. Und ganz oben an der Tasche glänzte es, als wäre Öl darauf gekommen.
»Sollen wir Katja bitten, etwas Torte zu besorgen?«, fragte Märtha. »So eine leckere Prinzesstorte?«
»Torte? Nein, ich bin müde. Ich gehe jetzt in mein Zimmer.«
»Warte, ich helfe dir …«, sagte Märtha und griff an den Trolley, um festzustellen, ob dort das Löchlein vom Abstandshalter zu fühlen war.
»Rühr meinen Wagen nicht an. Das ist mein Geld!«, schrie Dolores aufgebracht, stand auf und stürmte in ihr Zimmer. Alle lächelten verständnisvoll und widmeten sich wieder ihren Beschäftigungen, während Märtha gedankenverloren auf die geschlossene Tür starrte.
Dolores ließ sich den ganzen Nachmittag nicht mehr blicken, und am nächsten Morgen teilte Katja mit, sie sei krank geworden. Sie wollte von niemandem
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