Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
verstecken? Sie sah sich um. Im Bettbezug! Eifrig öffnete sie ihn und begann, die Fünfhundertkronenschein hineinzustopfen. Unzählige Scheine verschwanden in dem geblümten Stoff, und als sie die Bettdecke gefüllt hatte, griff sie zum Kopfkissen. Ein bis zwei Kissen voll sollten für den Finderlohn reichen. Den Rest stopfte sie wieder zurück in den Trolley. Dolores sollte schließlich nichts merken. Eilig mischte sie Scheine und Zeitungspapier und stopfte noch mehr Zeitungspapier, das sie vom Altpapierstapel in der Garderobe nahm, dazu. Oben platzierte sie eine dicke Schicht Scheine und legte darauf die Decken und den Schal. Als der Einkaufstrolley wieder gefüllt war, betrachtete sie ihn sorgfältig von allen Seiten, um sicher zu gehen, dass er genau so aussah wie vorher. Dann schlich sie hinaus zum Gemeinschaftsraum und öffnete die Tür zu Dolores’ Zimmer nur einen Spalt breit. Sie blieb auf der Schwelle stehen und lauschte. Die Alte schnarchte nach wie vor. Märtha knipste ihre Leuchtdioden an, und in dem fahlen Lichtschein schlich sie so lautlos wie möglich ins Zimmer. Vorsichtig rollte sie den Wagen zum Nachttisch und stellte ihn genau dorthin, wo sie ihn gefunden hatte. Plötzlich hörte Dolores auf zu schnarchen, und Märtha zuckte zusammen. Lange Zeit stand sie wie angewurzelt da, während die alte Frau die Arme ausstreckte und so aussah, als wolle sie gleich aufstehen. Dolores fuchtelte mit den Händen durch die Luft, schlug die Augen auf und starrte Märtha an. Märtha schreckte zurück, suchte verzweifelt nach einer Entschuldigung und wollte soeben den Mund aufmachen, da schloss Dolores die Augen wieder und legte sich auf die Seite. Dann grunzte sie, zog die Decke über die Schulter und fiel mit einem deutlich hörbaren Furz wieder in den Schlaf. Märtha stand still, wartete und starrte die Alte ängstlich an. Erst als Dolores wieder laut schnarchte, wagte Märtha es, sich vom Fleck zu rühren. Flink verschwand sie durch die Tür. Als sie zurück in ihrem Zimmer war, sank sie erschöpft auf ihr Bett.
»Puh, was für eine Tortur«, entfuhr es ihr, doch gleichzeitig hörte sie ein geheimnisvolles Geräusch. Sie zuckte zusammen und wäre vor Schreck beinahe aus dem Bett gekullert. Die Hände krampfhaft vor der Brust verschränkt, starrte sie zur Tür. Jetzt war es totenstill. Märtha wartete. Nichts mehr. Da wurde sie mutiger. Sie stützte sich auf ihren Nachttisch und stand vorsichtig auf. Jetzt, da war es wieder. Das klang wie … natürlich, sie hatte sich auf die Geldscheine gesetzt. Bevor sie einschlief, musste sie sie in eine Decke einwickeln, damit sie nicht so laut raschelten. Der Diebstahl durfte unter keinen Umständen entdeckt werden. Das würde das Ende ihrer kriminellen Karriere bedeuten.
63
»Wir hatten beide Sehnsucht nach einander«, sagte Snille am nächsten Tag, als er Märtha umarmt hatte und nun den Arm um ihre Taille geschlungen hielt. Er hätte noch so viel mehr sagen wollen, doch ihm fehlten die Worte. Stattdessen drückte er sie noch einmal, und so standen sie lange Zeit da, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Der verglaste Eingang zum Haus Diamant sah ganz anders aus, als er ihn in Erinnerung gehabt hatte, gar nicht so furchtbar hässlich. Natürlich war das Gebäude im tristen 40er-Jahre-Stil errichtet, doch seine Märtha wohnte hier. Er spürte, wie sie ihren Kopf an seine Brust lehnte.
»Endlich!« Mehr brachte sie nicht heraus, und dann kamen auch schon die Tränen. »Endlich«, sagte sie noch einmal, und Snille musste an all die zärtlichen Worte denken, die er in Filmen und Fernsehserien gehört hatte. Er fühlte genau dasselbe, doch es kam ihm so lächerlich vor, diese Worte auszusprechen. Deshalb murmelte er nur vor sich hin, und strich ihr etwas unbeholfen übers Haar.
»Hallo, erkennt mich denn keiner?«, rief Kratze und kam auf sie zu. Wie immer hatte er sein Halstuch umgebunden, doch in der Gefängniszeit hatte er sich außerdem eine Schifferkrause zugelegt. Er grinste über das ganze Gesicht, klopfte Snille auf den Rücken und drückte sie innig.
Märtha betrachtete ihre Freunde, die sie so lange nicht gesehen hatte, und lächelte. Es war ein wunderbares Gefühl, wieder neben ihnen zu stehen, und die Müdigkeit nach den Aktionen in der vergangenen Nacht bewirkte, dass sie kaum aufhören konnte zu weinen. Kratze sah gut aus, auch wenn er nach Tabak roch, und Snille war wirklich der einzige Mann, dem sie je Gedichte geschrieben hatte – auch wenn sie
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