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Wir Genussarbeiter

Wir Genussarbeiter

Titel: Wir Genussarbeiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svenja Flaßpoehler
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müssen.«
    Ein Mensch, der nur noch arbeitet und sich nicht ein Mindestmaß an Entspannung erlaubt, sublimiert nicht mehr, sondern verhält sich neurotisch. Der Workaholic steckt sämtliche Kraft, die er zur Verfügung hat, in seine Arbeit, weil sie für ihn ein Suchtmittel ist wie der Alkohol für den Alkoholiker. Sein Tätigsein hat mit Sublimation nichts mehr zu tun, er verwandelt Lust nicht in Arbeit, was einen Moment der Freiheit voraussetzen würde, sondern sein Verhalten ist exzessiv, triebhaft und selbstzerstörerisch. In seiner Zwanghaftigkeit funktioniert der Workaholic wie eine Maschine, Erschöpfungszustände werden ignoriert, und selbst wenn der Kollaps droht, arbeitet die Maschine immer noch weiter. »Burnout«, schreibt der Psychologe Matthias Burisch, »ist eine langandauernd zu hohe Energieabgabe für zu geringe Wirkung bei ungenügendem Energienachschub – etwa so, wie wenn eine Autobatterie nicht mehr über die Lichtmaschine nachgeladen wird, dennoch aber Höchstleistungen abgeben soll.«
    In dieser Hinsicht ähnelt der Workaholic in auffälliger Weise den Lustmaschinen der Pornographie: Auch der pornographische Körper ist ein Hochleistungsarbeiter, der sich keine Pause gönnt, in einer Endlosschleife trägt er zum Bruttosozialprodukt größtmöglicher Lust bei. Und so wie der Pornoarbeiter seine körperliche Endlichkeit dank filmischer Mittel bis zur Absurdität überschreitet, überschreitet auch der Arbeitssüchtige unentwegt seine natürlichen Grenzen, indem er sich durch leistungssteigernde Mittel wie Ritalin oder Modafinil
aufputscht. So gesehen ist der Porno durchaus nicht die Umkehrung der heutigen Arbeitswelt, sondern vielmehr deren karikaturistische Engführung: Was er uns zeigt, sind Körper, die immer können und sich, so erschöpft sie auch sein mögen, trotzdem noch auf nachgerade absurde Weise Lust abringen. Dass unsere Gesellschaft ›pornographisiert‹ ist, stimmt insofern durchaus – allerdings nicht, weil wir ein ungezwungenes Verhältnis zum Sex hätten, sondern weil wir uns gerade umgekehrt zwanghaft in der Arbeit verausgaben.
    Diese Ich-kann-immer -Logik ist es, durch die sich Pornographie von Erotik unterscheidet. Pornographie ist reine Aktivität. Sie erträgt keine Unterbrechungen, keine Schwäche, keine Stille, was allein zählt, ist Leistung und nicht der einzelne Körper in seiner jeweils höchst individuellen Lust und Unlust. Erotik hingegen lebt von der Begrenztheit der Körper, sie braucht Pausen, Verzögerungen, Passivität, Muße, ja, das Nicht-Können ist sogar der Boden, auf dem das erotische Spiel gedeiht. Nicht inmitten betriebsamer Hyperaktivität, sondern in einer Atmosphäre entspannter, vertrauensvoller Müdigkeit entsteht sexuelle Lust. Müde Körper werden weich, öffnen sich, die Müdigkeit, schreibt Peter Handke, ist ein »Zugänglichwerden«, ist »die Erfüllung des Berührtwerdens und des selber Berührenkönnens«. Und nicht nur für die Öffnung der Körper, auch für ein inspiratives Offensein in der Arbeit ist die »erotische Müdigkeit« (Handke) die Grundvoraussetzung. Ein Mensch, der nie zur Ruhe kommt, produziert das Immergleiche – ganz ähnlich wie die nimmermüden Körper im Porno, die immer wieder von vorne die immergleichen Akte vollführen.
    »Hektik bringt nichts Neues hervor«, schreibt Byung-Chul Han. »Sie reproduziert und beschleunigt das bereits Vorhandene. « Schöpferisch tätig und offen für seinen Gegenstand
kann nur sein, wer nicht ununterbrochen aktiv ist, sondern spazieren geht, schläft, träumt, phantasiert und sich der Langeweile hingibt. Doch genau das ist uns heute immer weniger gestattet – beziehungsweise wir gestatten es uns selbst nicht. An die Stelle einer innigen, auf Muße und Zeit beruhenden Auseinandersetzung mit einem anderen Körper respektive der Arbeit tritt eine asketische Verwertungslogik, in der es ein produktives Unproduktivsein schlichtweg nicht geben darf. Hier eine Konferenz, da ein Businesslunch, dort eine unaufschiebbare Deadline, abends diverse Sporttermine, alles absolviert in nervöser Dauererregung. Die moderne Askese, so der Kulturwissenschaftler Thomas Macho, ist »eine Komposition aus Arbeitssucht und Aktivismus, Streß und Zeitdruck, Einsamkeit und Depression, eine traurige Mixtur aus Sexismus, Kinderfeindlichkeit und zölibatärer Impotenz.«
    Die Hochleistungsgesellschaft unterhält ein affirmatives Verhältnis zur Pornographie, nicht zur Erotik. Ja es liegt sogar der Verdacht

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