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Wir Genussarbeiter

Wir Genussarbeiter

Titel: Wir Genussarbeiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svenja Flaßpoehler
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räumlichen und zeitlichen Ausnahme-Zonen verloren gegangen, in denen sie es öffentlich feiern und als glamourös würdigen konnte. Solange es eine öffentliche Sphäre der Feierlichkeit gab, die vom profanen Alltag getrennt war, konnte das Ambivalente dort aufgehoben werden und gesellschaftlich akzeptabel bleiben – unter der Bedingung eben, dass es als Ausnahmeerscheinung von den übrigen profanen Räumen und Zeiten gesondert blieb. An dieser öffentlichen, heiligen Sphäre muss nun eine Beschädigung aufgetreten sein: Offensichtlich ist sie nicht mehr in der Lage, die ambivalenten Güter der Gesellschaft zu absorbieren und als ambivalent zu erhalten; dadurch blieben sie als Störungen im profanen Raum übrig, und ihre affektive Qualität erscheint als ›entmischt‹, das heißt, nur noch schmutzig.« Das ›Heilige‹, von dem Pfaller spricht, ist das Heilige im primitiven, ursprünglichen Sinne, das niemals nur rein, sondern immer auch unrein ist – ansonsten wäre das Heilige kaum mit einem Berührungsverbot, mit einem Tabu belegt. Wenn es nun eine Kultur versteht , beide Seiten des Heiligen in Ritualen lebbar zu machen, findet sich der Mensch auch in seinen ›schlechten‹, ›unreinen‹, ›verdorbenen‹, ›verbotenen‹ Seiten in ihr aufgehoben. Unsere Kultur aber, meint Pfaller, ist eine Kultur der Entmischung: Akzeptiert wird nur noch das Reine, Gute, Vernünftige. Rauchen zum Beispiel war schon immer ungesund und schädlich, und trotzdem wurde es bis vor Kurzem an öffentlichen Orten zelebriert. Ja, die Feierlichkeit des Rauchens ist für Pfaller sogar nachgerade ein Sinnbild des alltäglichen Heiligen, das zwangsläufig das Moment der Unvernunft, des Zaubers, des Mythischen in
sich trägt: »Insbesondere an den kleinen Ritualen der Tabakkultur, die oft den Charakter eines Abwehrzaubers (zum Beispiel gegen peinliches Warten) und einer Versicherung des eigenen Stolzes haben, ist dieser zeremonielle, feierliche Charakter deutlich: Mit Feuer und Rauch wird schließlich auch in fast allen Religionen und Magien operiert, um heilige Zonen von profanen abzugrenzen, und die kultische Bezugnahme auf filmische Vorbildmythologien ist in jedem Akt des Rauchens spürbar – jedenfalls solange noch Filme gezeigt werden dürfen, in denen Lauren Bacall in lasziver Weise Humphrey Bogart um Feuer ersucht.« Das Rauchen ist eine Möglichkeit, dem Warten eine Form, ja Stil zu geben. Heute leben wir in der Zeit des Rauchverbots. Kneipen und Clubs gleichen, was ihren Charme angeht, in einem immer stärkeren Maße einer Schulaula, und in Bayern darf mittlerweile noch nicht einmal mehr auf dem Oktoberfest geraucht werden. Das ist natürlich gesund, keine Frage. Der Preis aber ist, dass dem Menschen immer weniger erlaubt wird, seine ›schmutzige‹, unvernünftige Seite genussvoll an öffentlichen, atmosphärischen Orten zu leben. Wer heute rauchen will, muss das draußen oder zu Hause tun, so als würde er eine lästige, für andere unzumutbare Notdurft erledigen. Das Rauchen ist eine Peinlichkeit und Ungehörigkeit, die man besser vor den anderen verbirgt. Die Entlastungsfunktion, die Rituale ehemals innehatten, indem sie Unanständiges öffentlich lebbar machten, kehrt sich auf diese Weise um in eine Schuld , die der Einzelne selbst zu tragen hat: Soll doch jeder sehen, wo er mit seinem Schmutz bleibt!
    Die notwendige Folge der gesellschaftlichen Entritualisierung und Individualisierung ist, dass der Mensch, so er überhaupt noch an Ritualen festhält, diese für sich ganz allein lebt – und zwar nicht zuletzt auch deshalb, weil ihm in einer individualisierten Hochleistungsgesellschaft schlichtweg die
Zeit, die Gelegenheit und durchaus auch die Kraft fehlen, andere an seiner Feier teilhaben zu lassen. Wenn die Personalmanagerin nach einer durchgearbeiteten Woche gestresst nach Hause kommt, dann steht ihr der Sinn weniger nach einer ritualisierten Kollektiverfahrung oder gar gemeinschaftlicher Ekstase als vielmehr nach Ruhe und Erholung, weshalb das Wochenende mit einer Heilkräuter-Entspannungs-Badewannenprozedur eingeläutet wird, in der Kerzen genauso wenig fehlen dürfen wie die Peelingmaske für Gesicht und Dekolleté. Heute hat jeder und jede einen anderen Feierabend, manchmal auch gar keinen, am Wochenende stehen Tagungen und Konferenzen an, und wenn einmal ein Abend ohne Termin im Kalender steht, verbringt man ihn lieber allein, um endlich einmal ›abzuschalten‹ und zu entspannen.
    Die Kehrseite einer

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